Libretto: Pique Dame

von Peter Tschaikowski


Pique Dame



Personen:
HERMANN (Tenor)
GRAF TOMSKY (Bariton)
FÜRST JELETZKY (Bariton)
TSCHEKALINSKY (Tenor)
SURIN (Bass)
TSCHAPLITZKY (Tenor)
NARUMOFF (Bass)
DIE GRÄFIN (Mezzosopran)
LISA, ihre Enkelin (Sopran)
PAULINE, deren Freundin (Alt)
GOUVERNANTE (Mezzosopran)
MASCHA, Kammermädchen (Sopran)
FESTORDNER (Tenor)

CHOR
Spaziergänger, Gäste, Masken, Spieler

Ort: Petersburg

Zeit: Erste Hälfte des 19. Jahrhunderts

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

Frühling. In Petersburg im "Sommergarten". Kleiner Platz.
Kinderfrauen, Gouvernanten und Ammen sitzen auf Bänken oder gehen durch den Garten auf und ab.
Kinder spielen Fangen, Seilspringen und werfen Bälle.



CHOR DER KLEINEN MÄDCHEN
Brenne, brenne helle,
Dass es nicht ersticke
Eins, zwei, drei!

CHOR DER KINDERFRAUEN
Amüsiert euch, liebe Kinder!
Selten verschafft euch die Sonne,
Ihr Lieben, das Vergnügen!
Wenn ihr Lieben, nach Herzenslust
Euch in Spielen austobt,
So verschafft ihr euren Kinderfrauen
Ein klein wenig Ruhe.
Wärmt euch, lauft, liebe Kinder,
Und lasst's euch in der Sonne gut gehen.

CHOR DER GOUVERNANTEN
Gott sei Dank,
Wenigstens ein bisschen
Kann man ausruhen,
Die Frühlingsluft atmen, ein bisschen 'was sehen!
Ohne zu schreien, ohne mit Verweisen
Die Zeit hinzubringen wegen Vorsagen,
Ohne Bestrafungen für vergessene Lektion.

CHOR DER AMMEN
Baju, baju, baj!
Schlaf, mein Liebling, komm zur Ruh!
Mach die hellen Äuglein zu!

Hinter der Szene werden Trommelgeräusche und Kindertrompeten hörbar.

CHOR DER KINDERFRAUEN, AMMEN und GOUVERNANTEN
Da kommen unsere Krieger, unsere kleinen Soldaten.
Wie ordentlich! Tretet beiseite!
Platz da! Platz da!
Eins, zwei, eins, zwei!

CHOR DER JUNGEN
Eins, zwei, eins, zwei,
Links, rechts, links, rechts!
Gleichschritt, Brüder!
Nicht aus dem Tritt kommen!

DER KOMMANDIERENDE JUNGE
Rechte Schulter voran!
Eins, zwei, Halt!
Die Jungen bleiben stehen
Achtung! Gewehr nach vorn!
Fassen am Lauf! Gewehr bei Fuss!
Die Jungen führen das Kommando aus

CHOR DER JUNGEN
Wir sind hier alle versammelt,
den russischen Feinden zur Abschreckung.
Böser Gegner, hüte dich,
Mach dich davon mit deinen üblen Absichten,
Oder unterwirf dich! Hurra!
Das Vaterland zu schützen ist unser Los.
Wir stehn bereit zu kämpfen und die Feinde
Ohne Zögern gefangenzunehmen!
Hurra! Hirra! Hurra!
Es lebe die Frau, die allweise Zarin,
Uns allen ist sie Mutter, und aller Länder Herrscherin,
Und Stolz und Zier!
Hurra! Hurra! Hurra!

DER KOMMANDIERENDE JUNGE
Prachtkerle, Jungs!

DIE JUNGEN
Gern zu Diensten, Euer Hochwohlgeboren!

DER KOMMANDIERENDE JUNGE
Achtung! Präsentiert das Gewehr! Marsch!

CHOR DER KINDERFRAUEN, AMMEN und GOUVERNANTEN
Nun schau an, unsere jungen Soldaten!
Und wirklich werden sie dem Feind Furcht einjagen.
Diese Kerle! Wie ordentlich!
Diese Kerle! Wie ordentlich!

Den Jungen nach, verlassen auch andere Kinder die Bühne. Die Kinderfrauen und Gouvernanten gehen auseinander und machen anderen Spaziergängern Platz. Tschekalinski und Surin treten ein.


ZWEITE SZENE

TSCHEKALINSKI
Wie ist das Spiel gestern ausgegangen?

SURIN
Ach, ich hab wieder 'mal furchtbar verloren.
Es glückt mir nicht.

TSCHEKALINSKI
Haben Sie wieder bis zum Morgengrauen gespielt?

SURIN
Ja, es hat mich schrecklich angestunken.
Hol's der Teufel, wenn man nur einmal gewönne!

TSCHEKALINSKI
War Hermann da?

SURIN
Er war da, und wie immer, von abends um acht
Bis morgens um acht,
Sass er wie angenagelt am Spieltisch,
Sass da, schweigend, und soff Wein.

TSCHEKALINSKI
Und?

SURIN
Und schaute auf das Spiel der anderen.

TSCHEKALINSKI
Was ist das für ein seltsamer Mensch!

SURIN
Als wenn er mindestens drei Verbrechen
Auf dem Gewissen hätte!

TSCHEKALINSKI
Ich hörte, er sei arm...

SURIN
Ja, reich ist er nicht.
Hermann tritt ein, in Gedanken und trübsinnig; mit ihm Graf Tomski
Da ist er, schau!
Wie ein Dämon der Hölle, trübselig.... bleich

Surin und Tschekalinskj treten ab

TOMSKI
Sag mir, Hermann, was ist mit dir?

HERMANN
Mit mir? Nichts.

TOMSKI
Bist du krank?

HERMANN
Nein, ich bin gesund.

TOMSKI
Du hast dich irgendwie verändert...
Mit irgendetwas bist du unzufrieden.
Gewöhnlich warst du gefasst, zurückhaltend,
Zumindest fröhlich;
Jetzt bist du trübselig, schweigsam
Und - ich traue meinen Ohren nicht
- von einer neuen Leidenschaft erfasst:
Man sagt, du verbringst die Nächte
Bis zum Morgen am Spieltisch?

HERMANN
Ja! Einem Ziel zustreben mit festem Schritt,
Wie früher - ich kann es nicht.
Ich weiss selber nicht, was mit mir ist.
Ich habe mich einer unwürdigen
Schwäche hingegeben, und mich zu beherrschen,
Steht nicht mehr in meinen Kräften
Ich bin verliebt. Verliebt!

TOMSKI
Was? Du bist verliebt? In wen denn?

HERMANN
Ihren Namen kenne ich nicht, und will
Ihn auch nicht erfahren; ich will sie nicht
Mit einem irdischen Namen benennen...
Alle Vergleiche durchgehend, weiss ich nicht,
Womit ich meine Liebe vergleichen sollte;
Die Seligkeit des Paradieses -
Ich wünschte, dass sie ewig Wirklichkeit sei!
Aber der eifersüchtige Gedanke, dass sie ein anderer
Beherrscht, während ich die Spur ihres Fusses
Nicht zu küssen wage, martert mich.
Ich verfluche mich selbst, und diese irdische
Leidenschaft versuche ich vergeblich zu bändigen,
Und alles möchte ich dann umarmen,
Und immerfort möchte ich dann sie umarmen,
Meine Heilige! Ich kenne ihren Namen nicht
Und möchte ihn nicht erfahren!

TOMSKI
Na, wenn das so ist, dann rasch zur Sache!
Wir werden erfahren, wer sie ist,
Dann machst du ihr kühn einen Heiratsantrag,
Und die Sache ist gelaufen

HERMANN
O nein! Verdammt!
Sie ist von Adel, und kann nicht mir gehören!
Das ist es, was mich martert und quält!

TOMSKI
Wir finden eine andre.
Es gibt nicht nur eine auf der Welt...

HERMANN
Du kennst mich nicht!
Nein, sie so einfach vergessen: das geht nicht!
Ach, Tomski, du verstehst mich nicht!
Ich habe bis jetzt ruhig gelebt,
Bevor diese Leidenschaften in mir erwachten...
Bis jetzt hatte ich mich selbst in der Hand,
Doch nun, da meine Seele in der Macht
Jenes Traumes ist, ist es mit meiner Ruhe aus!
Ich bin vergiftet, ich bin wie betrunken,
Ich bin krank, ja: krank, ich bin verliebt!

TOMSKI
So steht es mit dir, Hermann? Ich muss gestehen:
Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen,
Dass du imstande wärest, so zu lieben!

Hermann und Tomski treten ab. Spaziergänger füllen die Szene.


CHOR DER SPAZIERGÄNGER

ALLE
Endlich hat uns Gott so einen sonnigen Tag geschickt!
Welche Luft! Was für ein Himmel!
Es ist regelrecht Mai bei uns!
Ach, wie schön; wirklich:
Den ganzen Tag kann man spazierengehen!
Einen solchen Tag hat man nicht mehr erwartet! -
Einen solchen Tag haben wir lange nicht mehr erlebt!

JUNGE DAMEN
Welche Freude! Welche Freude!
Wie schon, wie schön zu leben!
Wie angenehm,wie reizend,
Im Sommergarten spazierenzugehen!
Schaut, schaut, wieviel junge Menschen,
Soldaten und Zivilisten, die Alleen entlangbummeln.
Schaut, schaut,wie es dort wimmelt
Von Soldaten und Zivilisten.
Wie elegant, wie herrlich, wie schön, schaut doch,
Schaut!

ÄLTERE FRAUEN
Früher ging es uns besser,
Und solche Tage gab es jedes Jahr
Im frühen Frühling.
Aber jetzt gibt es sie selten;
Die Sonne ist schon von Morgen
an schwächer, wirklich schwächer;
Es wird Zeit zu sterben!
Früher, wirklich, war es besser;
Es lebte sich fröhlicher.
Für uns war die Sonne am Himmel
Noch keine Seltenheit.

JUNGE HERREN
Sonne, Himmel,
Nachtigallengesang,
Und die helle Roteauf den Wangen der Mädchen:
Dies schenkt der Frühling,
Und mit ihm bringt auch
Die Liebe das junge Blut
In süsse Wallung.

ÄLTERE MÄNNER
Schon viele Jahre haben wir solche Tage nicht erlebt;
Frühergab es sie oft.
Zur Zeit Elisabeths war es eine wunderbare Zeit.
Viel besser waren Sommer, Herbst und Frühling.
Ach, es sind schon viele Jahre,
Dass es solche Tage nicht gab.
Ach, früher lebte es sich besser, fröhlicher.
Solche klaren Frühlingstage
Hat es schon ewig nicht mehr gegeben.

ALLE
Endlich hat uns Gott einen Sonnentag geschickt!
Was für eine Luft! Was für ein Himmel!
Es ist regelrecht Mai bei uns.
Ach, welche Freude, wirklich:
Den ganzen Tag spazierenzugehen!
Einen solchen Tag hat man nicht erwartet.

Hermann und Tomski treten auf.

TOMSKI
Und bist du überzeugt,
Dass sie dich nicht bemerkt hat?
Ich möchte wetten, dass auch sie sich in
Liebe zu dir verzehrt .

HERMANN
Sobald ich dieses angenehmen
Zweifels beraubt wäre,
Müsste meine Seele dann nicht
Ein Martyrium davontragen?
Du siehst, ich lebe, ich leide, aber in jenem
Schrecklichen Moment, da ich mir sagen müsste,
Dass es mir nicht beschieden sei, sie zu besitzen,
Dann bliebe mir nur noch eines . .

TOMSKI
Was?

HERMANN
Zu sterben!

Fürst Jeletski tritt ein. Ihm nähern sich Tschekalinski und Surin.

TSCHEKALINSKI
Dich kann man beglückwünschen.

SURIN
Du bist Bräutigam, wie man hört?

JELETSKI
Ja, meine Herren, ich heirate.
Ein strahlender Engel hat sein Jawort gegeben,
Sein Schicksal mit meinemauf ewig zu verbinden.

TSCHEKALINSKI
Na dann, viel Glück!

SURIN
Von ganzem Herzen bin ich froh.
Sei glücklich, Fürst!

TOMSKI
Jeletski, ich gratuliere!

JELETSKI
Ich danke euch, Freunde!


Duett

JELETSKI
Glücklicher Tag, dich preise ich!
Als wenn sich alles in Jubel mit mir vereint hätte!
Überall erglänzt die Gnade des überirdischen Lebens
Alles lächelt, alles strahlt.

HERMANN
Unglücklicher Tag, dich verfluche ich!
Als wenn sich alles zum Kampf mit mir verschworen
Hätte!
Überall spiegelt sich Freude, nur nicht in meiner
Kranken Seele. Alles lächelt, alles strahlt.

JELETSKI
In meinem Herzen hebt alle Freude
Des Lebens, zur Gnade des Paradieses winkend!
Welch ein glücklicher Tag,dich preise ich!

HERMANN
Ich aber spüre, wie in meinem
Herzen höllischer Zorn bebt,
Der einzig Qualen mir verheisst,
O ja, der nur Qualen mir verspricht.

TOMSKI
Sag, mit wem willst du dich verheiraten?

HERMANN
Fürst, wer ist deine Braut?

Die Gräfin und Lisa treten ein

JELETSKI
auf Lisa weisend
Da ist sie!

HERMANN
Sie? Sie ist seine Braut? O Gott! O Gott!

LISA und DIE GRÄFIN
Da ist er wieder!

TOMSKI
zu Hermann
Das also ist deine namenlose Schönheit?!


Quintett

LISA und DIE GRÄFIN
Mir ist so bang! Wieder steht vor mir
Der geheimnisvolle, düstere Unbekannte!

LISA
In seinen Augen hat ein stummer Vorwurf eine
Flamme zum Feuer wilder Leidenschaft entfacht...
Wer ist er? Warum verfolgt er mich?
Mir ist so bang, als wenn ich in der Gewalt
Von seiner Augen düsterem Feuer wäre.
Mir ist bang! Bang ist mir!

DIE GRÄFIN
Mir ist so bang! Wieder steht vor mir
Der geheimnisvolle, schreckliche Unbekannte!
Er ist ein verhängnisvolles Vorzeichen,
Völlig ergriffen von irgendeiner wilden Leidenschaft .
Was will er? Warum verfolgt er mich?
Warum steht er wieder vor mir?

HERMANN
Mir ist so bang! Wieder steht vor mir,
wie ein verhängnisvolles Vorzeichen,
Die bleiche Alte...
In ihren schrecklichen Augen
Lese ich mein stummes Urteil!
Was möchte sie? Was will sie von mir?
Als wenn ich in der Gewalt
Von ihrer Augen düsterem Feuer wäre!
Wer, wer ist sie?
Mir ist bang! Ich fühle Angst!

JELETSKI
Mir ist so bang!
Mein Gott, wie ist sie verstört!
Woher kommt diese seltsame Aufregung?
Ihre Seele leidet.
In ihren Augen ist irgendeine stumme Furcht!
Auf jenen klaren Tag, wie kommt es,
Dass da plötzlich ein Nebelschleier fällt?
Was ist mit ihr? Sie schaut nicht her zu mir!
O, mir ist bang, als wenn irgendein unerwartetes
Unglück nahe bevorstünde... Mir ist bang!

TOMSKI
Das ist sie, von der er gesprochen hat!
Wie ist er verstört von der unerwarteten Erkenntnis.
In seinen Augen sehe ich eine stumme Furcht,
Das Feuer wilder Leidenschaft entfacht!
Aber mit ihr, was ist mit ihr?
Wie ist sie bleich!
O, mir ist bang um sie! Mir ist bang!
Graf Tomski tritt zur Gräfin
Gräfin! Erlauben Sie, Sie zu beglückwünschen

GRÄFIN
Sag mal, wer ist dieser Offizier?

TOMSKI
Welcher? Dieser?
Hermann, mein Freund.

GRÄFIN
Wo kommt denn der her,
Wie ist er schrecklich!

JELETSKI
reicht Lisa die Hand
Der Himmel entzückender Zauber,
Ringsum das Rauschen der leichten Zephire,
Die fröhlichen Scharen, der Gruss der Freunde
Verheissen uns für künftig
Viele Jahre des Glücks!

Die Gräfin, Tomski, Lisa und der Fürst gehen ab

HERMANN
Freu dich, Freund! Hast du vergessen,
Dass es nach stillen Tagen gewöhnlich Gewitter gibt,
Dass der Schöpfer zum Glück die Tränen
Gegeben hat und zum schönen
Sommerwetter den Donner?
Es donnert von fern. Hermann last sich, in düsterer Versunkenheit, auf eine Bank nieder.

SURIN
Was für eine Hexe ist diese Gräfin!

TSCHEKALINSKI
Ein Scheusal!

TOMSKI
Nicht umsonst hat man ihr den Spitznamen
"Pique Dame" gegeben!
Ich kann nicht verstehen: Warum sticht sie nicht mehr?

SURIN
Wieso? Dieses alte Wrack?

TSCHEKALINSKI
Diese achtzigjährige Mumie! Ha, ha, ha!

TOMSKI
So wisst ihr nichts über sie?

SURIN
Nein, wirklich, nichts!

TSCHEKALINSKI
Nichts!

TOMSKI
O, dann hört!
Die Gräfin galt vor vielen Jahren
In Paris als Schönheit. Alle jungen Männer
Machte sie verrückt, und sie nannten sie:
"Die Venus von Moskau".
Graf Saint Germain unter anderen,
Damals selbst noch ein hübscher Bursche,
Verliebte sich in sie, aber erfolglos schmachtete
Er nach der Gräfin!
Alle Nächte hindurch ununterbrochen
Sass die Süsse am Spieltisch und zog,
Wie schade, die Liebe des "Pharao" vor.
Einmal in Versailles, beim "jeu de la reine",
Hatte Venus moscovite alles bis aufs Hemd verloren.
Unter den Gästen war auch Graf Germain.
Das Spiel verfolgend, hörte er, wie sie auf dem
Höhepunkt ihres Hazardspiels vor sich hinsprach:
"O Gott! O Gott! O Gott, ich könnte alles gewinnen,
Wenn es reichte, noch einmal zu setzen
Drei Karten, drei Karten, drei Karten!"
Der Graf ergriff die günstige Gelegenheit,
Als die Schöne verstohlen
den Saal voller Gäste verliess:
Schweigend sass sie da allein,
Und er flüsterte ihr verliebt ins Ohr
Worte, süsser als Mozarts Klänge:
"Gräfin, Gräfin! Für ein einziges Rendezvous,
Wenn Ihr wollt, nenne ich Euch
Drei Karten, drei Karten, drei Karten."
Die Gräfin empörte sich: "Was erlauben Sie sich!''
Doch der Graf war kein Feigling
Und als ein Tag vergangen war,
Erschien die Schöne wieder, ohne einen Pfennig
In der Tasche, zum "Jeu de la Reine",
Aber nun kannte sie drei Karten
Sie setzte sie tapfer eine nach der anderen,
Sie gewann alles wieder ... Aber um welchen Preis
Einmal verriet sie diese Karten ihrem Mann,
Ein zweites Mal erfuhr sie von ihr ein hübscher Jüngling.
Aber noch in derselben Nacht, sobald sie allein war,
Erschien ihr ein Gespenst und sprach zu ihr
mit drohender Stimme:
"Du wirst einen tödlichen Schlag erhalten
von dem dritten, der, leidenschaftlich liebend, kommt,
Um mit Gewalt von dir zu erfahren
Das Geheimnis der drei Karten!

TSCHEKALINSKI
Si non è vero, è ben trovato.

SURIN
Lustig! Aber die Gräfin kann ruhig schlafen:
Ein verwirrter Liebhaber wird sich für sie
Schwerlich finden!

TSCHEKALINSKI
So hör doch, Hermann!
Hier ist für dich eine einzigartige
Gelegenheit, ohne Geld zu spielen.
Uberleg's dir! Würd' ich mir überlegen!

TSCHEKALINSKI und SURIN
''Vom dritten, der, verwirrt und leidenschaftlich liebend,
Kommt, um mit Gewalt von dir zu erfahren
Das Geheimnis der drei Karten".

Sie treten ab. Ein starker Donnerschlag. Das Gewitter bricht aus. Die Spaziergänger eilen nach allen Seiten fort.

CHOR DER SPAZIERGÄNGER
Wie schnell das Gewitter hereinbrach,
Wer hätte das erwartet?
Verdammt! Mit solcher Wucht!
Donner für Donner wird lauter und schlimmer!
Laufen wir schneller! Um schneller das Tor zu Erreichen!
Schneller nach Hause zu kommen!
Ach Gott, ach Gott! Verdammt! Verdammt!

HERMANN
in Gedanken versunken
''Du wirst einen tödlichen Schlag erhalten
Von dem dritten, der, leidenschaftlich liebend,
Kommt, um mit Gewalt von dir zu erfahren
Das Geheimnis der drei Karten!
Ach, was habe ich mit ihnen zu tun!
Auch wenn ich sie besitzen würde...
Alles ist jetzt ohnehin verloren...
In mir selbst sind alle Leidenschaften
Zu solch mörderischer Kraft erwacht,
Dass dieses Gewitter mit ihnen nicht zu
Vergleichen ist!
Nein, mein Fürst! Noch bin ich am Leben,
noch überlasse ich sie dir nicht!
Donner, Blitze, Unwetter!
Vor euch tue ich den feierlichen Schwur:
Sie wird mein sein, oder ich werde nicht mehr sein!


DRITTE SZENE

Lisas Zimmer. Lisa an einem Cembalo, neben ihr Pauline und Freundinnen

LISA UND PAULINE
Abend ist's …
Der letzte Strahl der Dämmerung
Erlischt an den Türmen,
Die letzte glitzernde Welle auf dem Fluss verebbt.
Still ist's... die Wälder schlafen, ringsum herrscht Friede,
Ausgestreckt im Gras unter der Trauerweide,
Vernehme ich, wie leisedie herbstliche Reihe der
Weiden rauscht.
Wie süss in der Stilledas Plätschern der Wellen
Am Ufer tönt,
Wie still das Wehen Zephirs über den Wassern steht,
Und das Zittern der biegsamen Eibe.

CHOR DER FREUNDINNEN
Entzückend! Bezaubernd! Wunderschön!
Noch 'mal, Mesdames, noch 'was!

LISA
Sing du allein etwas, Polja!

PAULINE
Allein? Aber was soll ich singen?

CHOR DER FREUNDINNEN
Bitte, was du halt kannst,
Ma chère, Schätzchen, sing uns 'was!

PAULINE
Ich sing euch meine Lieblingsromanze. Wartet!
Pauline setzt sich ans Cembalo
Wie ging sie doch gleich?
Pauline präludiert
So! Jetzt hab' ich's.

Freundinnen, ihr lieben, in ausgelassenem
Leichtsinn tummelt ihr euch singend und tanzend
Auf den Wiesen.
Und auch ich lebte, wie ihr, im glücklichen Arkadien.
Auch ich habe am Morgen der Tage
In diesen Hainen und Feldern
Vergängliche Freude gekostet.
Die Liebe hat in goldenen Träumen
Mir Glück verheissen, doch was wurde mir
In dieser freundlichen Gegend zuteil.
Ein Grab, ein Grab, ein Grab!
Da kam mir in den Sinn, ein Lied zu singen,
Ein solches Klagelied... Aber warum?
Du bist schon ohnedies etwas traurig, Lisa,
An einem solchen Tag, bedenke doch!
Du bist doch verlobt, ei, ei, ei!
Nun, was lässt ihr alle die Nasen bangen?
Jetzt singt 'mal etwas Fröhliches, etwas Russisches
zu Ehren des Bräutigams und der Braut.
Ich fange an, und ihr singt mir nach!

CHOR DER FREUNDINNEN
Ja, wirklich, ja wirklich,
Jetzt etwas Fröhliches, Russisches!

PAULINE
Nun, mein Schätzchen Mariechen,
Bist du froh, tanz herum!

PAULINE und CHOR
Ei ljuli, ljuli, ljuli,
bist du froh, tanz herum!

PAULINE
Deine weissen Händchen wirf zur Seite hoch!

PAULINE und CHOR
Ei ljuli, ljuli, ljuli,
wirf zur Seite hoch!

PAULINE
Deine schnellen Füsschen schone nicht, nutze sie!

PAULINE UND CHOR
Ei ljuli, ljuli, ljuli,
schone nicht, nutze sie!

PAULINE
Was auch immer die Mama fragt,
sage: ''Mir gehts gut!"

PAULINE UND CHOR
Ei ljuli, ljuli, ljuli,
sage ''Mir gehts gut!"

PAULINE
Und dem Papa gib zur Antwort:
"Ich habe bis zum Morgengrauen gesungen!"

PAULINE und CHOR
Ei ljuli, ljuli, ljuhi,
Sag: "Ich habe bis zum Morgengrauen gesungen!"

PAULINE
Ein Jüngling will dir Vorwürfe machen -
''Mach dich fort, verschwinde!"

PAULINE und CHOR
Ei ljuli, ljuli, ljuli,
''Mach dich fort, verschwinde!"

Die Gouvernante tritt auf.

GOUVERNANTE
Mesdemoiselles, was ist das hier für ein Lärm
Die Gräfin ärgert sich, ei, ei, ei!
Schämen Sie sich nicht, russisch zu tanzen
Fi, quel mal genre, mesdames!
Junge Damen aus Ihren Kreisen
Sollten gutes Benehmen kennen!
Die Regeln der Welt sollten
Sie sich gegenseitig beibringen.
Nur unter Dienstmägden tollt man so herum,
Nicht hier, mes mignonnes!
Wenn man unbedingt fröhlich sein muss,
dann vergisst man doch nicht le bon ton!
Ihnen ziemt es nicht, herumzutollen.
Volkstänze sind nicht Sache von Fürstinnen!
Sie sollten einander gegenseitig
Diesen Satz wiederholen:
Junge Damen Ihrer Kreise sollten gutes
Benehmen kennen!
Es ist Zeit, auseinanderzugehen.
Sie sollten sich verabschieden -

Die jungen Damen gehen auseinander.

PAULINE
Lisa, warum bist du derart traurig?

LISA
Ich? Traurig? Nicht im geringsten!
Schau, was für eine Nacht!
Wie nach diesem schrecklichen Gewitter
Alles plötzlich wie neu geworden ist!

PAULINE
Pass auf:
Ich werde dem Fürsten sagen,
Dass du am Tag deiner Verlobung so traurig warst...

LISA
Nein, um Gottes willen, sag nichts!

PAULINE
Dann beliebe jetzt wieder zu lächeln.
Na also! Und nun gute Nacht!

LISA
Ich begleite dich.

Gehen ab. Ein Zimmermädchen kommt herein und löscht alle Kerzen bis auf eine. Als sie
an die Balkontür tritt, um sie zu schliessen, kommt Lisa zurück


LISA
Brauchst du nicht zuzumachen! Lass offen!

MASCHA
Dass Sie sich aber nicht erkälten, gnädiges Fräulein!

LISA
Nein, Mascha, die Nacht ist so warm, so schön!

MASCHA
Befehlen Sie Hilfe beim Auskleiden?

LISA
Nein, mach ich selbst. Leg dich schlafen!

MASCHA
Es ist schon spät, gnädiges Fräulein . .

LISA
Lass mich, geh!
Mascha tritt ab. Lisa steht lange in tiefenm Nachdenken und beginnt leise zu weinen
Woher kommen diese Tränen?
Worum weine ich? Meine Mädchenträume,
Ihr habt mich ganz im Stich gelassen
Da seid ihr nun in wachem Zustand wahr geworden
Ich habe mein Leben nun einem
Fürsten anvertraut,
Einem Auserwählten nach Herzen, Wesen und Verstand,
An Schönheit, Adel und Reichtum,
Würdig einer Freundin, die nicht so ist wie ich.
Wer ist adlig, schön und stattlich so wie er?
Keiner! Und was jetzt?
Ich bin von Schwermut und Furcht erfüllt,
Ich zittere und weine. Woher diese Tränen?
Worum weine ich? Meine Mädchenträume,
Ihr habt mich ganz im Stich gelassen.
Es ist schwer, es ist schrecklich.
Aber warum sich Illusionen machen?
Ich hin hier ganz allein, ringsum schläft alles friedlich..
O höre, Nacht! Dir allein kann ich das Geheimnis
Meiner Seele anvertrauen.
Sie ist finster, so wie du,
Sie ist wie ein Blick betrübter Augen;
Friede und Glück sind mir abgestorben...
Königin Nacht!
Wie du, du Schöne,
Wie ein gefallener Engel ist er schön,
In seinen Augen brennt das Feuer der Leidenschaft,
Wie ein wunderbarer Traum lockt er mich,
Und meine ganze Seele ist in seiner Macht.
O Nacht! O Nacht!

In der Balkontür erscheint Hermann.
Lisa tritt in stummem Schrecken zurück. Sie mustern einander, schweigend, Lisa macht eine Bewegung, als wolle sie weglaufen.


HERMANN
Bleiben Sie, ich beschwöre Sie!

LISA
Warum sind Sie hier, Sie verrückter Mensch?
Was wollen Sie?

HERMANN
Verzeihen Sie! Gehen Sie nicht weg! Bleiben Sie!
Ich gehe selbst gleich fort
Und komme nie wieder hierher
Eine Minute! Was macht es Ihnen aus?
Zu Ihnen spricht ein Sterbender.

LISA
Warum, warum sind Sie hier?
Gehen Sie tort!

HERMANN
Nein!

LISA
Ich schreie!

HERMANN
Schreien Sic! Wecken Sie alle!
Ich sterbe sowieso, allein oder vor anderen.
Lisa senkt den Kopf und schweigt.
Aber wenn in dir, schönes Mädchen,
Ein Funken von Mitleid ist,
Dann bleib stehen, und geh nicht weg!

LISA
O Gott, o Gott!

HERMANN
Denn das ist meine letzte, meine Todesstunde,
Mein Urteil habe ich heute erfahren.
Einem anderen hast du,
Grausame, dein Herz vergeben.
Nun lass mich sterben, indem ich dich segne,
Und nicht, indem ich dir fluche.
Kann ich denn den Tag überleben,
An dem du für mich eine Fremde wirst?
Ich lebte für dich; ein einziges Gefühl und ein
Einziger hartnäckiger Gedanke beherrschten mich.
Ich gehe zugrunde, aber zuvor,
Wenn ich vom Leben Abschied nehme,
Schenk mir nur einen Augenblick,
Allein zu sein mit dir,
Zu zweit in der wundervollen Stille der Nacht,
gib mir von deiner Schönheit zu trinken!
Dann mag der Tod kommen
Und mit ihm der Friede'
Lisa steht da, traurig auf Hermann blickend
Bleib so stehen! O, wie bist du schön!

LISA
mit schwächerer Stimme
Gehen Sie! Gehen Sie!

HERMANN
Schönes Mädchen! Göttin! Engel!
er fällt ihr zu Füssen
Verzeih, du himmlisches Geschöpf,
Dass ich in deinen Frieden einbrach,
Verzeih, aber wende deinen Sinn
Nicht ab von einem Besessenen,
Stoss die Leidenschaft nicht zurück!
O, erbarm dich! Bevor ich sterbe,
Trage ich dir mein Gebet vor:
Blick aus der Höhe des himmlischen Paradieses
Auf den tödlichen Kampf einer Seele,
Die vom Martyrium erschöpft ist, dich zu lieben.
O, erbarme dich und erwärme
Meinen zärtlichen Geist mit deinem Mitleid,
mit deiner Träne.
Lisa weint.
Du weinst! Du?
Was bedeuten diese Tränen?
Du verstösst mich nicht und erbarmst dich?
Ich danke dir!
Schönes Mädchen! Göttin! Engel!
fasst ihre Hände und küsst sie. Es nähern sich Schritte; jemand klopft an die Tür

DIE GRÄFIN
Lisa, mach auf!

LISA
Die Gräfin! Gerechter Gott!
Ich bin verloren, laufen Sie! ...
Das Klopfen wird stärker. Lisa weist Hermann in eine Portiere.
Zu spät! Dorthinein!

Lisa geht zur Tür und öffnet sie. Die Gräfin tritt ein im Schlafrock, umgeben von Zimmermädchen mit Kerzen.

GRÄFIN
Warum schläfst du nicht? Wozu bist du angezogen?
Was ist das für ein Lärm?…

LISA
in Verwirrung
Grossmutter, ich bin im Zimmer
auf und ab gegangen ... ich kann nicht schlafen...

GRÄFIN
Warum ist der Balkon offen?
befiehlt mit einer Geste, die Balkontür zu schliessen
Was sind das für Phantasien?
Pass auf, du! Mach keinen Unsinn!
Sofort hinlegen!
Stösst mit dem Stock auf
Hörst du?

LISA
Ja, Grossmutter, sofort!

GRÄFIN
Nicht schlafen können' Hat man so was schon gehört!
Was sind das bloss für Zeiten!
Nicht schlafen können
Sofort legst du dich hin!

LISA
Ich gehorche ja schon! Verzeiht!

GRÄFIN
abgehend
Aber ich habe doch einen Lärm gehört.
Du raubst deiner Grossmutter die Ruhe!
Gehen wir!
Und lass dir nicht einfallen, hier Dummheiten anzustellen!
geht ab

HERMANN
"Wer, leidenschaftlich liebend,
kommt, um sicher von dir zu erfahren
drei Karten, drei Karten, drei Karten!"
Eine Grabeskälte wehte um sie herum.
O schreckliches Gespenst,
Tod, ich will dich nicht!...
Lisa, die Tür hinter der Gräfin verschliessend, tritt zur Balkontür, öffnet sie und befiehlt Hermann mit einer Geste, hinauszugehen.
O, schone mich!
Der Tod schien mir vor einigen Minuten
noch die Rettung,
fast als Glück.
Jetzt ist es nicht mehr so:
Er ist mir schrecklich Du hast mir
eine Dämmerung des Glücks wiederentdeckt:
Ich möchte leben und mit dir sterben!

LISA
Verrückter Mensch,
Was wollen Sie son mir:
Was kann ich tun?

HERMANN
Mein Schicksal entscheiden!

LISA
Erbarmen Sie sich, Sie richten mich zugrunde
Gehn Sie fort, ich bitte Sie,
Ich befehle es Ihnen!

HERMANN
So also sprichst du das Todesurteil über mich aus!

LISA
O Gott! Mir wird schwach...
Geh, ich bitte darum!

HERMANN
Sag dann: So stirb!

LISA
Gerechter Gott!

HERMANN
Leb wohl!
macht Anstalten wegzugehen

LISA
Nein! Bleib am Leben!

HERMANN
schliesst sie in die Arme; sie lässt den Kopf auf seine Schulter sinken
Schönes Mädchen! Göttin! Engel!

HERMANN und LISA
Dich liebe ich!
Ich bin dein!

ZWEITER AKT


ERSTE SZENE

Maskenball bei einem reichen Würdenträger.
Grosser Saal. Zur Seite, zwischen Säulen, sind Logenhergerichtet. Adlige junge Damen und Herren tanzen Kontratänze. Auf Emporen singen Chorsänger.


CHOR
Freudig und fröhlich vereinigt euch
An diesem Tag, Freunde!
Werft ab eure Geschäftigkeit,
Springt und tanzt immer kühner!
Klatscht in die Hände,
Schnalzt laut mit den Fingern!
Schwarz habt ihr die Augen maskiert,
Alles drückt ihr aus mit dem Körper!
Die Hände seitwärts in die Hüfte gestemmt,
Vollführt ihr leichte Sprünge,
Stiefel fur Stiefel poltert ihr,
Kühner pfeift ihr Zum Angriff.
Der Hausherr und seine Frau
Heissen die lieben Gäste willkommen!

FESTORDNER
Der Hausherr bittet die lieben Gäste, sich die
Darbietung eines Feuerwerks anschauen zu wollen.

TSCHEKALINSKI
Unser Hermann tragt die Nase wieder höher.
Ich wette mit Ihnen, er ist verliebt.
Erst war er traurig, dann wurde er wieder fröhlich.

SURIN
Nein, meine Herren. Er ist ganz erfüllt,
Was denken Sie wovon?
Wovon?
Von der Hoffnung, drei Karten zu erfahren.

TSCHIKALINSKI
Komischer Kauz -

TOMSKI
- ich glaube es nicht.
Dazu müsste er keinen Verstand haben.
Aber er ist kein Dummkopf!

SURIN
Er hat es mir selbst gesagt.

TOMSKI
Im Scherz!

TSCHEKALINSKI
zu Surin
Komm, gehen wir ihn ein bisschen necken!
Sie verlassen den Saal

TOMSKI
Und im übrigen gehört er zu denen,
Die, einmal zu etwas entschlossen,
Dann auch alles ausführen müssen.
Armer Kerl! Armer Kerl!

Geht ab. Diener treten ein, um die Mitte der Szene für ein Intermezzo vorzubereiten.
Der Fürst und Lisa treten auf.


JELETSKI
Sie sind so betrübt, meine Liebe,
Als hatten Sie einen Kummer
Vertrauen Sie sich mir an!

LISA
Nein, spitter, Fürst, ein andermal...
Ich flehe Sie an!
möchte weggehen

JELETSKI
Warten Sie, auf einen Augenblick!
Ich muss es, muss es Ihnen sagen:
Ich liebe Sie, liebe Sie unermesslich, ohne Sie könnte
Ich mir nicht mehr vorstellen, einen Tag zu erleben.
Leistungen von beispiellosr kraft
Könnte ich Für Sie vollbringen,
Aber Sie sollten wissen: die Freiheit ihres Herzens
Möchte ich in keiner Weise einschränken.
Ich bin bereit, mich Ihnen zuliebe davonzuschleichen
Und die Hitze eifersuchtiger Gefühle zu Beschwichtigen:
Zu allem, zu allem bin ich für Sie bereit!
Ich möchte nicht nur Ihr liebender Gatte
Und dann und wann Ihr nützlicher Diener sein;
Ich wünsche Ihr Freund zu sein und ihr Tröster
für immer.
Aber klar sehe ich, und fühle ich,
Wie sehr ich mich in Träumen verrant habe,
Wie wenig Sie zu mir Vertrauen haben,
Wie Fremd ich ihnen bin und entfernt.
Ach, ich zermartere mich über dieses Schicksal
Ich fühle mit Ihnen von ganzer Seele mit,
Ihr Kummer macht mich bekümmert,
Ihre Tränen machen mich weinen.

Gehen ab. Hermann tritt ein ohne Maske, im Kostüm, und hält einen Zettel in Händen.

HERMANN
liest
"Erwarten Sie mich nach der Vorstellung im Saale,
Ich muss Sie sehen ,..'' Sie umso eher wiedersehe und diesen Gedanken loswerden...Drei Karten!
Drei Karten wissen, und ich bin reich!...
Dann kann ich zusammen mit ihr der Welt davonlaufen...Verdammt!
Dieser Gedanke bringt mich um den Verstand!
einige Gäste kehren in den Saal zurück, darunter Tschekalinski und Surin. Sie zeigen auf Hermann,
nähern sich ihm und flüstern untereinander, zu ihm gewandt.


TSCHEKALINSKI und SURIN
Bist du nicht jener dritte,
Der leidenschaftlich liebend,
Kommt, um von ihr zu erfahren
Drei Karten, drei Karten, drei Karten?
Verschwinden.
Hermann richtet sich verstört auf, so als ob er sich keine Rechenschaft von dem abgäbe, was da vorgeht. Als er sich umblickt, sind Tschekalinski und Surin schon in der Menge der jungen Leute verschwunden.


HERMANN
Was ist das?
Fieberphantasie oder Spott?
Nein!
Und was, wenn nun...
bedeckt das Gesicht mit den Händen
Verrückt, verrückt bin ich!

FESTORDNER
Der Hausherr bittet die lieben Gäste nun,
einer Pastorale beizuwohnen unter dem Titel:
"Die Aufrichtigkeit der Schäferin."


Intermezzo

Eine Gruppe prominenter, schöner Frauen, junger Männer und Mädchen, gekleidet in Schäferkostüme, tritt auf die Wiese und führt entsprechende Spiele und Tänze auf.

SCHÄFER und SCHÄFERINNEN
Unter dem dichten Schatten,
Nahe dem stillen Bach,
Kamen wir hier zusammen,
Um uns zu erfreuen,
Zu singen, fröhlich zu sein
Und Reigen zu tanzen,
Uns an der Natur zu erfreuen,
Blumenkränze zu flechten.

Duett

PRILEPA (CHLOE)
Mein lieber Freund,
Der freundliche Schäfer,
Nach dem ich seufze,
Und dem ich meine
Leidenschaft entdecken möchte,
Ach, ist nicht zum Tanz gekommen.

MILOWSOR (DAPHNIS)
Ich hin hier, aber bedrückt und bekümmert.
Schau, wie ich abgemagert bin!
Ich werde nicht mehr bescheiden sein,
Ich habe lange genug meine Leidenschaft bezähmt.

PRILEPA
Mein lieber Freund, du freundlicher Schäfer,
Wie ich mich ohne dich langweile,
Wie ich um dich leide, ach, ich kann's nicht sagen.
Ich weiss nicht, wie das kommt!

MlLOWSOR
Schon lange liebt' ich dich,
Ohne dich hab ich mich gelangweilt,
Und du weisst nichts davon,
Und hier verbirgst du dich
Vor meinem Blick.
Ich weiss nicht, ich weiss nicht, was das soll!

SLATOGOR (PLUTO)
Das Gefolge von Pluto trägt wertvolle Geschenke herein.
Wie bist du lieb und schön!
Sag: von uns beiden wen,
Mich oder ihn
Bist du gewillt, für immerdar zu lieben?

MILOWSOR
Ich bin mit meinem Herzen einig,
Die zu lieben,
Die es mir befiehlt,
Zu der es spricht.

SLATOGOR
Ich habe goldene Berge
Und wertvolle Steine bei mir!
Ich verspreche,
Dich gänzlich mit ihnen zu verschönen.

MILOWSOR
Ich habe nur einen Besitz: Der Liebe echte Glut!
Und ihren ewigen Besitz nimm als ihr Geschenk.
Und Vögel und Blumen und Bänder und Kränze
Anstelle bestickter, wertvoller Kleider
Werde ich bringen und dir schenken.

PRILEPA
Ich brauche keine Güter
Und keine seltenen Juwelen;
Ich bin es zufrieden, mit dem Liebsten
Inmitten der Felder in einer Hütte zu leben.
Nun, gnädiger Herr, guten Weg,
zu MiIowsor
Und du sei beruhigt!
Hier auf der Stelle, in der Einsamkeit,
Empfange die Belohnung für deine sanften Worte
Und bring mir einen Strauss Blumen.

PRILEPA und MILOWSOR
Es kam ein Ende der Qualen;
den Entzückungen der Liebe
Schlägt bald die Stunde.
Liebe, vereinige du uns.

SCHÄFER und SCHÄFERINNEN
Amor und Hymen kommen mit Gefolge, Prilepa (Chloe) und Milowsor (Daphnis) zu bekränzen.
Es kam ein Ende der Qualen!
Bräutigam und Braut sind würdig des Entzückens;
Liebe, vereinige du sie!
Die Sonne glänzt so schön,
die Zephirwinde wehen,
Mit einem schönen Jüngling
Erfreue dich, Prilepa.

Alle gehen paarweise ab. Nach Beendigung des Intermezzos stehen einige der Gäste auf, andere bleiben an ihren Plätzen und unterhalten sich angeregt. Hermann tritt an die Rampe.

HERMANN
versunken
"Wer, verwirrt und leidenschaftlich liebend...!"
- Na, und? Liebe ich etwa nicht?
Selbstverständlich … ja!

Dreht sich um und sieht vor sich die Gräfin. Beide zucken zusammen und mustern einander durchdringend.

SURIN
maskiert
Schau an, ist das deine Liebste?
kichert und entfernt sich

HERMANN
Schon wieder! Schon wieder!
Mir ist bang!
Dieselbe Stimme...
Wer ist das? Ein Dämon oder Mensch?
Warum verfolgen sie mich?
Verflucht!
O, wie bin ich unglücklich und verspottet!

Lisa tritt maskiert ein.

LISA
Hör zu, Hermann!

HERMANN
Du, endlich du!
Wie bin ich glücklich, dass du gekommen bist!
Ich liebe dich!
Ich liebe dich!

LISA
Hier ist nicht der Ort...
Nicht dafür habe ich dich hergerufen!
Hör zu... Hier ist der Schlüssel zu einer geheimen
Tür in den Garten... da ist eine Treppe ... über sie
kommst du ins Schlafzimmer der Grossmutter...

HERMANN
Wie? Zu ihr ins Schlafzimmer? .

LISA
Sie wird nicht da sein...
Im Schlafzimmer, in der Nähe ihres Portraits,
Gibt es eine Tür zu mir...
Ich werde dich erwarten!
Dir, dir möchte ich ganz allein gehören.
Wir müssen die Sache jetzt entscheiden.
Bis morgen, mein Geliebter, mein Ersehnter!

HERMANN
Nein, nicht morgen,
noch heute werde ich bei dir sein!

LISA
ängstlich
Aber, Geliebter

HERMANN
Ich will es so!

LISA
Dann sei es halt!
Denn ich bin deine Sklavin! Entschuldige mich!
verschwindet

HERMANN
Nicht ich mehr allein,
Das Schicksal selbst will es so, -
und ich werde die drei Karten erfahren!

DER FESTORDNER
Ihre Majestät beliebt uns jetzt zu beehren...
Im Chor grosse Unruhe. Der Festordner teilt die Menge so, dass in der Mitte ein Durchgang für die Zarin entsteht

CHOR DER GÄSTE
Die Zarin! Ihre Hoheit! Die Zarin!
Sie kommt selbst hierher...
Welch eine Ehre für den Hausherrn,
welch ein Glück!
Welche Freude, unsere Landesmutter zu sehen!
Der französische Gesandte wird sie begleiten!
Fin preussischer Prinz!
Welche Freude! Welches Glück!

FESTORDNER
zu den Sängern
Ihr stimmt gleich ,,Heil dir" an!

CHOR
Ein Festtag ist gekommen! Stimmt ''Heil dir" an!
Da kommt sie, sie kommt,unsere Landesmutter,
unsere Landesmutter!
Alle drehen sich in Richtung zur Mitteltüre um, Der Festordner gibt den Sängern ein Zeichen, anzufangen

CHOR DER GÄSTE
Heil dir, Katharina,
Heil dir, unsere zsrtliche Mutter!
Vivat! Vivat!

Die Männer stellen sich in tiefer höfischer Verbeugung auf. Die Damen machen den tiefen Hofknicks.
Paarweise treten Pagen aus der Tür.



ZWEITE SZENE

Schlafzimmer der Gräfin, von Öllämpchen erleuchtet. Durch die geheime Tür tritt Hermann ein. Er besieht sich das Zimmer.

HERMANN
Alles ist so, wie sie mir gesagt hat...
Was nun? Ich fürchte mich, nicht wahr?
Nein! Es ist so beschlossen.
Ich werde der Alten das Geheimnis herauslocken!
überlegt
Und wenn es nun überhaupt kein Geheimnis gibt?
Wenn das nun alles nur ein Wahngebilde
Meiner kranken Seele ist?
Tritt zur Tür Lisas. Dabei bleibt er vor dem Portrait der Gräfin stehen. Es schlägt Mitternacht.
Ah, da ist sie, die ''Venus von Moskau"!
Durch irgendeine geheime Macht ist
Mein Schicksal mit ihr verbunden.
Ich an dir oder du an mir,
Das fühle ich: einer von uns beiden
Wird an dem anderen zugrundegehen!
Ich starre auf dich und hasse dich,
Aber ich kann mich nicht satt sehen an dir!
Ich möchte davonlaufen,
Aber habe nicht die Kraft dazu.
Mein begieriger Blick kann sich nicht von dem
Schrecklichen, wunderbaren Gesicht losreissen!
Nein, ohne eine schicksalhafte Begegnung
Werden wir nicht auseinanderkommen!
Schritte! Sie kommen hierher!
Ja! Ach, komme, was da kommt!

Versteckt sich hinter dem Vorhang des Boudoirs, ein Zimmermädchen tritt ein und zündet eilends Kerzen an. Die Gräfin tritt ein, umgeben von geschäftigen Zimmermädchen und Gefolge.

CHOR
Unsere Wohltäterin, wie beliebten Sie auszugehen
Sie sind das Licht unserer Augen.
Sind Sie ermüdet? Tee?
Nun, und wie war's?
War jemand bessres da als Sie?
Es waren wohl, sicherlich, jüngere da,
aber schönere keine einzige, keine einzige!

Lisa tritt ein, hinter ihr Mascha.

LISA
Nein, Mascha, komm mir nicht nach!

MASCHA
Ist 'was mit Ihnen, Fräulein? Sie sind so bleich!

LISA
Nein, nichts!

MASCHA
die Wahrheit ahnend
Ach, mein Gott! Wirklich nichts?

LISA
Doch! Er kommt.
Vielleicht ist er schon da und wartet.
Pass für uns auf, Mascha!
Sei mir ein Freund!

MASCHA
Ach, als ob wir es daran fehlen liessen!

LISA
Er hat es so befohlen.
Ich habe ihnals meinen Gatten auserwählt,
Und ich werde eine gehorsame, treue
Dienerin dessen sein,
Den das Schicksal mir geschickt hat!

Das Gefolge und die Zimmermädchen führen die Gräfin hinaus. Sie ist im Schlafrock und trägt eine
Nachthaube. Sie legen sie ins Bett.


CHOR
Unsere Wohltäterin,
Sie ist das Licht unserer Augen.
Sie ist wohl ermüdet,
sie muss 'letzt schlafen.
Wohltäterin,
Allerschönste!
Leg dich ins Beitchen,
Morgen wirst du umso schöner aufstehen
Beim Schein der Morgenröte!
Wohltäterin, leg dich ins Bettchen,
Ruh dich aus!

GRÄFIN
Genug gelogen! Ihr langweilt mich. Ich bin müde.
Hab' keine Kraft. Ich möchte nicht im Bett schlafen.
Sie setzen sie in einen Sessel und umgeben sie mit Kissen
Ach, widerlich ist mir diese Welt!
Was für Zeiten!
Sich richtig vergnügen können sie nicht mehr.
Was für Manieren!
Was für ein Ton!
Und wohin man auch sieht:
Nicht tanzen, nicht singen können sie.
Wer ist noch Tänzerin?
Wer singt noch?
Die kleinen Mädchen!
Ach, früher: wer da tanzte, wer da alles sang!
Le duc d'Orléans, Ie duc d'Ayen,
Duc de Coigny...
La comtesse d'Estrades,
La duchesse de Brancas . .
Was für Namen!
Und manchmal sogar sie selbst,
Die Marquise von Pompadour selbst!
Vor ihnen habe ich manchmal gesungen ...
Le due de la Vallière lobte mich!
Einmal, in Chantilly, beim Prince dc Condé,
Hat sogar der König mir zugehört!
Ich sehe das noch vor mir...
Je crains de lui parler la nuit,
J'écoute trop tout ce qu'il dit,
Il me dit: je vous aime,
Et je sens malgré moi,
Je sens mon cceur qui bat, qui bat,
Je ne sais pas pourquoi!
Blickt sich um, als ob sie aus einem Traum erwachte
Was steht ihr hier? Macht euch fort!
Die Zimmermädchen und das Gefolge entfernen sich, und die Gräfin schläft ein
Je crains de lui parler la nuit...t

Hermann kommt aus seinem Versteck und steht vor der Gräfin. Sie wacht auf und bewegt in stummem Entsetzen unhörbar die Lippen.

HERMANN
Erschrecken Sie nicht!
Um Gottes willen, erschrecken Sie nicht!
Ich will Ihnen nichts tun! Ich bin gekommen,
Um von Ihnen einen Gefallen zu erbitten!
Die Gräfin blickt ihn schweigend an wie bisher …
Sie können das Glück eines ganzen Lebens begründen!
Und das wird Sie nichts kosten!
Sie kennen drei Karten...
Die Gräfin richtet sich kurz auf
Für wen hüten Sie dieses Geheimnis?
Hermann kniet vor ihr nieder
Wenn Sie jemals das Gefühl
Der Liebe kennengelernt haben,
Wenn Sie sich an die Verwirrung und Begeisterung
Des jungen Blutes erinnern können,
Wenn Sie nur ein einziges Mal zur
Liebkosung eines Kindes gelächelt haben,
Wenn in Ihrer Brust jemals ein Herz geschlagen hat,
Dann flehe ich Sie an, um der Gefühle einer Gattin,
Einer Geliebten, einer Mutter, um alles dessen willen,
Was Ihnen in Ihrem Leben teuer war:
Sagen Sie, sagen Sie, entdecken Sie mir Ihr
Geheimnis!
Wozu brauchen Sie es?
Vielleicht ist es verknüpft mit schrecklicher Sunde,
Mit dem Verderben der Seligkeit,
Mit teuflischen Bedingungen?
Bedenken Sie: Sie sind alt,
Sie haben nicht mehr lange zu leben.
Ich bin bereit, Ihre Sünde auf mich zu nehmen!
Vertrauen Sie sich mir an! Sagen Sie es mir!
Die Gräfin hat sich aufgerichtet und blickt Hermann drohend an
Alte Hexe! So muss ich dich zur Antwort zwingen!
Zieht eine Pistole. Die Gräfin nickt mit dem Kopf, hebt die Hände, als wollte sie sich vor dem Schuss
schützen, und fällt tot um.

Wohl völlig kindisch geworden?
Wollen Sie mir die drei Karten nennen?
Ja, oder nein?
Sie ist tot! Es ist schiefgegangen!
Und das Geheimnis habe ich nicht erfahren!
steht wie versteinert
Tot!

LISA
tritt mit einer Kerze ein
Was ist hier für Lärm?
erblickt Hermann
Du, du bist hier?

HERMANN
Schweig still! Still!
Sie ist tot,
Und das Geheimnis habe ich nicht erfahren!

LISA
Wer ist tot?
Wovon sprichst du?

HERMANN
zeigt auf den Leichnam
Es ist alles schief gegangen!
Sie ist tot,und das Geheimnis habe ich nicht erfahren! …

LISA
Lisa stürzt zum Leichnam der Gräfin.
Ja! Sie ist tot! O Gott!
Und das hast du getan?

HERMANN
Ich habe ihren Tod nicht gewollt.
Ich wollte nur die drei Karten erfahren!

LISA
Also darum bist du hergekommen!
Nicht meinetwegen!
Du wolltest drei Karten erfahren!
Nicht mich wolltest du haben, sondern Karten!
O Gott, mein Gott!
Und ich habe ihn geliebt,
Für ihn habe ich mich zugrundegerichtet!
Scheusal! Mörder! Verschwinde!
Hermann will etwas sagen, doch sie weist ihn mit befehlender Geste zur Geheimtür hinaus.
Fort! Verbrecher! Fort! Raus!

HERMANN
Sie ist tot!

Hermann läuft hinaus. Lisa wirft sich schluchzend auf die Leiche der Gräfin.

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

Kaserne. Hermanns Zimmer. Am späten Abend.
Mondlicht beleuchtet das Zimmer bisweilen, manchmal verschwindet es. Wind heult.
Hermann Sitzt am Tisch und liest einen Brief. Eine Kerze brennt.



HERMANN
"Ich glaube nicht, dass du den Tod der
Gräfin gewollt hast.
Ich quäle mich mit dem Bewusstsein,
Vor Dir schuldig zu sein.
Beruhige mich!
Heute werde ich am Ufer auf Dich warten,
Wenn uns niemand sehen kann.
Wenn Du bis Mitternacht nicht kommst, muss ich
Jenen schrecklichen Gedanken, den ich von mir
Weise, für wahr halten.
Verzeih, aber ich leide so!..." Die Ärmste!
In solch ein Unglück hab' ich sie mit mir gezogen!
Ach, wenn ich doch vergessen könnte und schlafen!

Lässt sich in einen Sessel nieder und scheint, in tiefer Versunkenheit zu träumen.

CHOR
hinter der Szene von weitem
Herr, ich flehe zu dir,
Dass du meiner Traurigkeit Gehör schenkst,
Denn meine Seele hat Übles begangen,
Und ich fürchte mich vor der Strafe der Hölle.
O schaue, mein Gott,
Auf die Leiden deines Knechtes!

HERMANN
All jene Gedanken, der ganze schreckliche Traum
Und düstere Bilder von ihrem Begräbnis
Steigen wie lebendig vor mir auf.
Was ist das?
Gesang oder heult der Wind?
Ich kann es nicht unterscheiden.
Ganz, als käme es von da. Ja, ja, man singt!
Und dort ist die Kirche,die Menschenmenge, und
Kerzen, und Weihiauchfässer, dort ist der Katafalk,
Dort das Grab.
Und im Grab die Alte, reglos, ohne Atem.
Von irgendeiner Gewalt gezogen,
Steige ich über eine dunkle Treppe.
Mir ist bang, aber ich habe keine Kraft umzukehren.
Ich schaue auf das tote Antlitz,
Und plötzlich, gleichsam spöttisch
Die Augen zukneifend, lächelt es mir Zu!
Fort, du schreckliches Gespenst!
Ein Klopfen am Fenster. Hermann hebt den Kopf und lauscht. Der Wind heult. Aus dem Fenster
schaut jemand heraus und verschwindet wieder.
Erneutes Klopfen am Fenster. Ein Windstoss öffnet es, und dabei zeigt sich wieder ein Schatten. Die Kerze verlischt.Hermann steht wie versteinert vor Schrecken.

Mir ist bang! Bang!
Da … , da … kommen Schritte,
dort geht die Tür auf...
Nein, nein, ich halte es nicht aus.

Läuft zur Tür, aber dort steht vor ihm das Gespenst der Gräfin. Er tritt zurück; das Gespenst kommt näher.

DAS GESPENST DER GRAFIN
Ich bin zu dir gekommen wider Willen,
Aber mir ist aufgetragen, deine Bitte zu erfüllen.
Rette Lisa, heirate sie, und drei Karten, drei Karten,
Drei Karten werden hintereinander gewinnen.
Pass auf:
Die Drei, die Sieben, das As!!

Das Gespenst verschwindet.

HERMANN
in grosser Verwirrung
Drei … Sieben … As


ZWEITE SZENE

Nacht. Winterliche Gracht. Im Hintergrund der Szene werden eine Uferstrasse und die Peter-Pauls-Festung vom Mondlicht erhellt. Unter einem Brückenbogen, in einer Ecke, ganz in Schwarz, steht Lisa.

LISA
Bald ist Mitternacht,
Aber von Hermann ist nichts zu sehen.
Ich weiss, er kommt, er wird den Verdacht zerstreuen.
Er ist Opfer eines Zufalls;
Ein Verbrechen kann er nicht begehen.
Ach, ich quäle mich, ich leide!
Ach, ich quäle mich vor Kummer
Nacht oder Tag, nur im Gedanken an ihn
Verzehre ich mich
Wo bist du, frühere Freude?
Ach, ich quäle mich, ich hin müde!
Das Leben hatte mir Freude verheissen,
Aber eine dunkle Wolke kam, ein Donnerschlag -
Alles, was ich auf der Welt geliebt hatte:
Glück und Hoffnung haben sie zerschlagen.
Ach, ich bin gequält, ich bin müde!
Nacht oder Tag,nur im Gedanken an ihn
Verzehre ich mich.
Ich kann nicht mehr! Ich bin es leid!
Die Hoffnungslosigkeit nagt an mir
und drückt mich nieder...
Vom Festungsturm beginnt es Zwölf zu schlagen.
O Zeit! Warte ein bisschen,
Er wird gleich da sein
in Verzweiflung
Ach, Liebster, komm, erbarme dich,
Mein Gatte, mein Gebieter!
So ist es wahr! Mit einem Verbrecher
Habe ich mein Schicksal verknüpft.
Einem Mörder, einem Auswurf gehört meine
Seele auf ewig!
In seiner Verbrecherhand befinden sich mein
Leben und meine Ehre,
Durch den unglückseligen Willen des Himmels
Bin auch ich zusammen mit einem Mörder verflucht!
Will weglaufen. Hermann kommt
Du bist da, du bist da!
Du bist kein Verbrecher!
Du bist da! Es kam ein
Ende der Qualen,
Und wieder bin ich die deine!
Fort, ihr Tränen, Qualen und Zweifel!
Du bist wieder mein,und ich dein!

Stürzt auf ihn zu und umarmt ihn.


Duett

HERMANN
Ja, da bin ich, meine Liebste!
küsst sie

LISA
O a, vergangen sind die Leiden,
Ich bin wieder mit dir vereint, mein Freund!

HERMANN
Ich bin wieder mit dir vereint, meine Freundin

LISA
O ja, die Leiden sind vorbei; ich hin wieder bei dir!

HERMANN
O ja, die Leiden sind vorbei; ich bin wieder bei dir!
Es war nur der Wahn eines leeren Traumbildes!

LISA
Der Wahn eines leeren Traumbildes!

HERMANN
Vergessen sind die Qualen und Tränen!
Ich bin wieder bei dir!
Die glückliche Stunde des
Wiedersehens ist gekommen,
O mein Engel, ich bin wieder bei dir!

LISA
Vergessen sind die Qualen und Tränen!
O mein Liebster, Ersehnter,
Ich bin wieder bei dir.
Vorbei sind auf ewig unsere Leiden,
Zu Ende die Qualen,ich bin wieder bei dir!

HERMANN
Aber, Liebste, wir haben keine Zeit zu verlieren,
Die Stunden verrinnen ... bist du bereit? Eilen wir!

LISA
Wohin eilen? Mit dir bis ans Ende der Welt!

HERMANN
Wohin eilen? Wohin? Zur Spielbank!

LISA
O Gott! Was ist mit dir, Hermann?

HERMANN
Dort sind Haufen von Gold, und sie gehören mir,
Mir allein gehören sie!

LISA
Hermann, was sprichst du da? Komm zu dir!

HERMANN
Ach so, ich vergass: du weisst es ja noch nicht!
Drei Karten, du erinnerst dich, dass ich die damals
Von der alten Hexe herauslocken wollte.

LISA
O Gott, er ist verrückt!

HERMANN
Dieser Dickschädel! Sie wollte sie mir nicht sagen.
Aber jetzt war sie bei mir und nannte mir selbst
Die drei Karten.

LISA
Das heisst, dass du sie getötet hast?

HERMANN
O nein! Wozu?
Ich habe nur ein wenig die Pistole gehoben,
Und die alte Hexe fiel tot um!
lacht

LISA
So ist es wahr? Es ist wahr!
So ist es wahr: mit einem Verbrecher
Habe ich mein Schicksal verbunden!
Einem Mörder, einem Auswurf
Gehört auf ewig meine Seele!
Von seiner Verbrecherhand wurde
Mein Leben und meine Ehre genommen.
Nach dem unglückseligen Willen des Himmels
Bin ich mit einem Mörder zusammen verflucht!

HERMANN
Ja! Ja! Es ist wahr, drei Karten weiss ich jetzt!
Ihrem Mörder hat sie die drei Karten,
Drei Karten genannt!
So war es vom Schicksal bestimmt:
Ich musste das Verbrechen begehen,
Drei Karten konnte ich nur um diesen Preis kaufen.

LISA
Aber nein, es kann nicht sein
Besinn dich, Hermann!

HERMANN
in Extase
Ja! Ich war jener Dritte,der, leidenschaftlich
Bebend kam, um von dir mit Gewalt
Zu erfahren die Drei, die Sieben und das As!

LISA
Wer immer du auch bist, ich bin trotzdem die deine.
Eilen wir, komm mit mir, ich rette dich!

HERMANN
Ja, von dir habe ich erfahren, erfahren
Von der Drei, der Sieben und dem As!
Lacht und stösst Lisa von sich weg.
Lass mich! Wer bist du? Dich kenne ich nicht!
Fort! Fort!

LISA
Er ist verloren, und mit ihm auch ich!
Läuft zum Ufer und stürzt sich in den Fluss.


DRITTE SZENE

In der Spielbank.Einige Gäste speisen, andere spielen Karten.

CHOR DER GÄSTE
WoIl'n wir trinken und Spass haben,
woll'n wir mit dem Leben spielen!
Die Jugend dauert nicht ewig.
Auf das Alter müssen wir nicht lange warten,
Möge unsere Jugend vergehen mit
Liebe, Karten und Wein!
Das allein macht auf der Welt Freude;
Das Leben jagt dahin wie ein Traum.

SURIN
am Kartentisch
Gewonnen!

TSCHAPLIZKI
Biete Paroli!

NARUMOW
Geschlagen!

TSCHAPLIZKI
Paroli!

TSCHEKALINSKI
Belieben Sie zu setzen?

NARUMOW
Attendez! As!

SURIN
Ich den Mirandol...

Fürst Jeletski tritt ein.

TOMSKI
zum Fürsten Jeletski
Wie bist denn du hierher geraten?
Ich habe dich bisher nie unter Spielern gesehen.

JELETSKI
Ja! Ich bin hier das erste Mal.
Du weisst, man sagt:
Unglück in der Liebe, Glück im Spiele...

TOMSKI
Was willst du damit sagen?

JELETSKI
Ich bin nicht mehr verlobt.
Frag mich nicht!
Es tut mir zu weh, mein Freund!
Ich bin hier, um mich zu rächen!
Denn Glück in der Liebe
zieht Unglück im Spiele nach sich...

TOMSKI
Erkläre, was das heissen soll!

JELETSKI
Du wirst schon sehen!

TSCHEKALINSKI
He, meine Herren!
Tomski soll uns etwas vorsingen!

CHOR
Sing uns was, Tomski, aber etwas Fröhliches,
Etwas zum Lachen

TOMSKI
Mir ist nicht so nach singen...

TSCHEKALINSKI
Ach, hör auf, was ist das für ein Unsinn!
Trink aus, und dir wird nach Singen sein!
Auf die Gesundheit Tomskis, Freunde! Hurra!

CHOR
Auf die Gesundheit Tomskis! Hurra!

TOMSKI
Wenn die lieben Mädchen fliegen könnten
Wie die Vögel,
Und sich auf den Ästen niederlassen,
O, dann möchte ich gern ein Ästchen sein,
Damit Tausende von Mädchen,
Dann auf meinen Zweigen sässen!

CHOR
Bravo! Bravo! Ach, sing noch ein Couplet!

TOMSKI
Und dann sässen sie und sängen,
Bauten Nester, tirilierten,
Zögen ihre Jungen auf!
Niemals würde ich mich krümmen,
Immer würd' die Sache stimmen,
Und ich lachte mir 'nen Ast,

CHOR
Bravo! Bravo!
Das ist ein Lied!
Das ist herrlich!
Bravo! So ein Kerl!
“Niemals würde ich mich krümmen,
immer würd' die Sache stimmen,
und ich lachte mir 'nen Ast!"

TSCHEKALINSKI
Und jetzt, wie immer,
Freunde, das Spielerlied!

TSCHEKALINSKI, SURIN, TSCHAPLIZKI, NARUMOW und CHOR
So haben sie sich an den trüben Tagen oft Versammelt.
Sie zielten, Gott verzeih ihnen, von fünfzig auf hundert.
Mal gewannen sie, mal sassen sie in der Kreide.
So haben sie an den trüben Tagen
Sich mit der Sache beschäftigt.
Sie zielten, Gott verzeih ihnen, von fünfzig auf hundert.

TSCHEKALINSKI
Zur Sache, ihr Herren, an die Karten!
Wein her, Wein her!

CHOR
Heh, Wein her!

TSCHAPLIZKI
Die Neun!

NARUMOW
Paroli...

TSCHAPLIZKI
Verlorene Liebesmüh!

SURIN
Ich setze auf Karo...

TSCHAPIJZKI
Gewonnen!

NARUMOW
Vom Transport zur Zehn!

Hermann tritt ein.

JELETSKI
erblickt Hermann
Meine Vorahnung hat mich nicht getäuscht.
Zu Tornski
Ich werde vielleicht einen Sekundanten brauchen.
Du schlägst es doch nicht ab?

TOMSKI
Zähl' auf mich!

CHOR
Ah! Hermann, Freund!
Wieso so spät? Wo kommst du her?

TSCHEKALINSKI
Setz dich zu mir,
du bringst mir Glück.

SURIN
Wo kommst du her? Wo warst du?
Nicht etwa schon in der Hölle?
Schau, wie du aussiehst!

TSCHEKALINSKI
Schlimmer geht es nicht!
Bist du denn gesund?

HERMANN
Erlaubt, ich möchte Karten setzen.

CHOR
Welch ein Wunder,
Er möchte stechen, unser Hermann!

NARUM0W
Freund, ich beglückwünsche dich zur Aufgabe
Einer so lang gehaltenen Position!

TSCHEKALINSKI
Und wieviel?

HERMANN
Vierzigtausend!

CHOR
Vierzigtausend!
Das ist ein Haufen!
Du bist verrückt!

SURIN
Du hast wohl von der
Gräfin drei Karten erfahren?

HERMANN
verärgert
Also was nun: spielt ihr oder nicht?

TSCHEKALINSKI
Es geht los! Welche Karte?

HERMANN
Die Drei.
Tschekalinski zieht
Gewonnen!

CHOR
Er hat gewonnen! So ein Glückspilz!

TSCHEKALINSKI, SURIN, NARUMOW, TSCHAPLIZKI und TOMSKI
Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu!
Seiner Augen Flimmern verheisst nichts Gutes.
Er ist wie ohne Besinnung!

JELETSKI
Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu!
Aber die Strafe ist nahe! Ich zahle es dir heim.
Verbrecher, meine Leiden zahle ich dir heim!

HERMANN
Erfüllt sind meine geheimen Wünsche. Nein, nein!
Nicht betrügerisch war der Rat der Alten!

CHOR
Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu!
Seiner Augen Flimmern verheisst nichts Gutes.
Er ist wie ohne Besinnung!

TSCHEKALINSKI
Möchtest du ausgezahlt haben?

HERMANN
Nein! Ich versuch's noch mal!

CHOR
Er hat den Verstand verloren!
Ist das die Möglichkeit?
Nein, Tschekalinski, spiel nicht mit ihm,
Schau, er ist nicht bei Sinnen!

HERMANN
Es geht los!

TSCHEKALINSKI
Es geht los? Und die Karte?

HERMANN
Nun die Sieben!
Tschekalinski zieht
Ist meine!

CHOR
Wieder seine!
Da ist irgendetwas Ungutes mit ihm im Bunde.

HERMANN
Was lasst ihr die Nasen hängen?
Ist was? Ist euch bange?
Wein her! Wein her!

CHOR
Hermann, was ist mit dir?

HERMANN
Was ist unser Leben? Ein Spiel!
Gut und Böse, das sind nur Phantasien!
Arbeit und Ehrlichkeit, das sind Märchen für Weiber!
Wer ist rechtschaffen, wer ist glücklich hier, Freunde?
Heute du, morgen ich!
So lasst das Kämpfen sein,
Ergreift den Augenblick des Erfolges!
Mag der Erfolglose weinen, mag er fluchen, seinem
Schicksal fluchen!
Was ist zuverlässig? Der Tod allein
Wie die Küste am Meer der Eitelkeit
Ist er uns allen die letzte Zuflucht.
Wer von uns, Freunde, ist verliebt in ihn?
Heute du, morgen ich!
So lasst das Kämpfen sein,
Ergreift den Augenblick des Erfolges!
Mag der Erfolglose weinen,
Mag er seinem Schicksal fluchen!
Spielen wir noch 'mal?

TSCHEKALINSKI
Nein, lass dich auszahlen!
Der Teufel selbst spielt mit dir in einer Person!

HERMANN
Und wenn es so wäre, was wäre es für ein Unglück?
Wer möchte noch mal?
Dies alles auf eine Karte? Na?

JELETSKI
Ich!

CHOR
Fürst, was ist mit dir? Lass es sein!
Denn das ist kein Spiel, das ist Wahnsinn!

JELETSKI
Ich weiss, was ich tue!
Ich habe eine Rechnung mit ihm!

HERMANN
verlegen
Sie? Sie möchten?

JELETSKI
Ja, ich!
Ziehen Sie, Tschekalinski!
Tschekalinski zieht.

HERMANN
Mein As!

JELETSKI
Nein! Ihre Dame ist geschlagen!

HERMANN
Welche Dame?

JELETSKI
Die, die Sie in Händen halten:
Die Pique-Dame!

Das Gespenst der Gräfin erscheint. Alle treten von Hermann zurück.

HERMANN
entsetzt
Die Alte! Du! Du bist hier!
Was lachst du so?
Du hast mich um den Verstand gebracht.
Verfluchte!
Was ist? Was willst du von mir?
Das Leben, mein Leben?
Nimm es, nimm es!

ersticht sich. Das Gespenst verschwindet.
Einige der Anwesenden stürzen zu Hermann, der hingesunken ist.


CHOR
Der Unglückselige!
Auf welch schreckliche Weise
hat er mit sich Schluss gemacht!
Er lebt, er lebt noch!

Hermann kommt zu sich. Er erblickt den Fürsten und versucht sich aufzurichten.

HERMANN
Fürst! Fürst, verzeihen Sie mir!
Mir ist elend, elend, ich sterbe!
Was ist das? Lisa?
Du bist hier? Mein Gott!
Warum, warum? Du vergibst mir! ja?
Du fluchst mir nicht?
Schönes Mädchen! Göttin! Mein Engel!
stirbt

CHOR
Herr, verzeih ihm und gib seiner unruhigen und
Gequälten Seele Frieden!