Libretto: Idomeneo, Rè di Creta

von Wolfgang Amadeus Mozart


Idomeneo, König von Kreta



Personen:
IDOMENEO, König von Kreta (Tenor)
IDAMANTES, sein Sohn (Tenor / Mezzosopran)
ELEKTRA, Tochter des Agamemnon (Sopran)
ILIA, Tochter des Priamos (Sopran)
ARBACES, Vertrauter des Königs (Tenor)
OBERPRIESTER Poseidons (Tenor)
STIMME DES ORAKELS (Bass)

CHOR
Volk von Kreta; Schiffsvolk; Heimkehrende Krieger;
Kriegsgefangene Trojaner; Priester und Priesterinnen

ERSTER AUFZUG

Galerie im Königspalast mit den Gemächern der Ilia

Ouvertüre

ERSTE SZENE
Ilia allein

Rezitativ

ILIA
Wann nur enden
meine bitteren Leiden? Unglückliche Ilia!
Dem grausamen Sturm mit knapper Not entronnen,
des Vaters und der Brüder beraubt,
der edlen Opfer,
deren Blut sich mit dem Blut
des wilden Feindes mischte,
welch schrecklicherem Schicksal
sparen dich die Götter auf?
…Hab ihr denn die Schuld
des Priamos und die Schmach Trojas gerächt?
Zwar ging die Flotte der Griechen unter, und Idomeneo
ist vielleicht die Beute des gefrässigen Wales…
doch was hilft es mir, o Himmel, wenn ich beim ersten Anblick
dieses tapferen Idamantes, der
mich den Wellen entriss, den Hass verstummen liess,
und mein Herz Sklave wurde, ehe ich mich selbst
als Gefangene erkannte.
O Gott, welchen Widerstreit der Gefühle habt ihr,
Hass und Liebe, mir im Busen erregt!
Rache schulde ich dem, der das Leben mir gab,
Dankbarkeit dem, der es mir rettete…
Ilia! Vater! Prinz! Schicksal!
Qualvolles Leben! Süsser Tod!
Jedoch - liebt mich Idamantes? … Ach nein, der Grausame hat
sein Herz an Elektra verloren, und diese bösartige
Prinzessin Elektra, die aus Argos verbannt wurde
Und vor den Furien desOrest auf diese Insel flüchtete,
diese Verirrte ist meine Rivalin.
Mitleidlose Henker um mich herum,
wie viele seid ihr? … Wohlan, so zerfleischt,
Rache, Eifersucht, Hass und auch Liebe,
zerfleischt doch dieses unglückliche Herz!


Nr. 1 - Arie

ILIA
Vater, Brüder, lebt wohl!
Ihr seid nicht mehr, ich habe euch verloren,
Griechenland, du trägst die Schuld daran.
Und einen Griechen sollte ich lieben?

Vor meiner Familie, das weiss ich,
wäre ich des Verrates schuldig.
Doch dieses Angesicht, ihr Götter,
ich kann es trotzdem nicht hassen.

Rezitativ

ILIA
Da ist Idamantes, ach,
er kommt. Armes Herz,
du schlägst und hast Furcht.
Gebt mir ein wenig Ruhe, meine Qualen!


ZWEITE SZENE
Idamantes, Ilia, Gefolge des Idamantes

IDAMANTES
zum Gefolge
Holt die Trojaner herbei, geht, und der Hof
soll sich vorbereiten, diesen Tag zu feiern.
zu Ilia
Ein süsser Hoffnungsstrahl
lindert meinen Schmerz. Minerva, die Schützerin
Griechenlands, errettete meinen Vater vor
der Wut der Wellen. Seine Schiffe wurden nicht weit
von hier auf dem Meer gesichtet. Arbaces hält
Ausschau nach der Stelle des erhabenen Anblicks,
die unserem Auge noch entzogen ist.

ILIA
mit Ironie
Fürchte nichts. Griechenland wird von
Minerva behütet, und der ganze Zorn der Götter
hat sich jetzt über die Trojaner entladen.

IDAMANTES
Beklage nicht länger das Los der Trojaner.
Der Sohn wird für sie tun, was der Vater
getan hätte und jeder andere
grossmütige Sieger. Höre, Prinzessin, ihre Leiden
sollen ein Ende haben.
Ich schenke ihnen die Freiheit, und jetzt wird es unter uns
nur noch einen Gefangenen geben, nur einen, der die teuren Fesseln trägt,
die deine Schönheit ihm anlegte.

ILIA
Herr, was muss ich hören? Haben die unerbittlichen Götter
immer noch nicht ihren Hass, ihren Wut
an Ilions herrlichen Mauern gestillt,
die jetzt gestürzt sind, ach, keine Mauern mehr,
sondern dem wüsten, öden Erdboden gleich? Sind unsere müden Augen
zu ewigen Tränen verdammt?

IDAMANTES
Venus hat uns bestraft, sie triumphiert über uns.
Was hat mein Vater - furchtbarer Gedanke -
in den Fluten erleiden müssen! Agamemnon
fand in Argos sein Ende, teuer musste
er seine Siege bezahlen, doch die feindselige Göttin,
noch nicht satt des vielen Blutvergiessens,
was tat sie? - Sie durchbohrte mir das Herz
mit deinen schönen Augen,
die mächtiger sind als die ihren,
und rächt an mir, was du verloren hast.

ILIA
Was sagst du?

IDAMANTES
Ja, Cythereas Sohn
senkte mir nie gekannte Qualen
in die Brust. Mars brachte dir
Tränen und Aufruhr, Amor übte Rache
an mir für dein Unglück, er benutzte
deine schönen Augen, deinen Zauber… aber meiner Liebe wegen
erglühst du in Zornesröte?

ILIA
Die unbedachte Verwegenheit deiner Worte
kann ich kaum ertragen. Bedenke doch,
o Himmel, Idamantes,
wer dein Vater ist und wer der meine war.

Nr. 2 - Arie

IDAMANTES
Ich bin schuldlos, und du verurteilst mich,
mein Alles, weil ich dich liebe.
Ihr tragt die Schuld, tyrannische Götter,
und schmerzbeladen sterbe ich
eines Vergehens wegen, das ich nicht beging.

Wenn du es willst, so befiehl es,
und ich werde mir die Brust öffnen.
In deinen Augen lese ich es wohl,
doch soll es mir auch dein Mund sagen,
und einen anderen Dank begehre ich nicht.

Rezitativ

ILIA
sieht, wie die Gefangenen gebracht werden
Da kommt der elende Rest der Trojaner,
die dem Wüten der Feinde entronnen sind.

IDAMANTES
Nun werde ich
ihre Fesseln lösen, will sie jetzt trösten.
für sich
Ach, warum kann ich das nicht für mich selbst tun!


DRITTE SZENE
Idamantes, Ilia, die gefangenen Trojaner, Männer und Frauen von Kreta.
Man löst die Ketten der Gefangenen, die ihre Dankbarkeit bekunden.


IDAMANTES
Sprengt die Ketten, denn heute,
o treues, ergebenes Sidon,
soll die Weit zwei ruhrnreiche Völker sehen,
verknüpft durch die Bande des Herzens und
verbunden in wahrer Freundschaft.
Helena rief Griechenland und Asien zu den Waffen,
und heute entwaffnet und vereint
eine andere Heldin,
eine lieblichere und schönere Prinzessin, Asien und Griechenland.

Nr. 3 - Chor

CHOR DER TROJANER UND KRETER
Freuen wir uns des Friedens,
Amor triumphiere,
jetzt wird jedes Herz
jubilieren.

ZWEI KRETER
Dank gebühre dem,
der die Fackel des Krieges auslöschte:
Jetzt wird die Erde endlich
Frieden haben.

ALLE
Freuen wir uns des Friedens, etc.

ZWEI TROJANER
Euch, ihr barmherzigen Götter,
und diesen schönen Augen
verdanken wir
die Freiheit.

ALLE
Freuen wir uns des Friedens, etc.


VIERTE SZENE
Elektra und die Vorigen

Rezitativ

ELEKTRA
vor Eifersucht erregt
Prinz, Herr, ganz Griechenland beleidigst du;
du nimmst den Feind in Schutz.

IDAMANTES
Es mag Griechenland genügen,
den Feind besiegt zu sehen. Seien wir bereit,
ein Werk zu erleben, das meiner würdig ist, o Prinzessin:
ich möchte den Besiegten glücklich sehen.
Er sieht Arbaces kommen
Arbaces kommt.


FÜNFTE SZENE
Arbaces und die Vorigen

IDAMANTES
ängstlich
Doch was bedeuten diese Tränen?

ARBACES
Mein Gebieter, das schrecklichste Unglück ...

IDAMANTES
besorgt
Lebt mein Vater
nicht mehr?

ARBACES
Er ist tot. Was Mars
bisher nicht vollbrachte, tat Neptun,
der unerbittliche Gott,
denn gerade erfuhr ich,
dass der würdigste der Helden
vor fremdem Gestade ertrank!
geht ab

IDAMANTES
Ilia, sieh hier den Ärmsten
unter den Lebenden. Jetzt wirst du
vom Himmel Genugtuung erfahren haben, grausames Schicksal! ...
Lauft zum Strand ... Ach, ich verzweifle!
geht ab

ILIA
Noch fühle ich zu stark Asiens Leid,
und doch ist mir, als bewege der Name,
das Schicksal des grossen Helden mir das Herz,
und mein Mitleid kann ich ihm nicht versagen.
geht traurig ab


SECHSTE SZENE
Elektra allein

ELEKTRA
Idomeneo ist tot?…Zu meinem Schaden
hat der Himmel sich gegen mich verschworen! Kann Idamantes nach seiner Neigung über ein Reich
bestimmen und über sein Herz, und mir bleibt nicht
der Schatten einer Hoffnung? Zu meiner Schmach
muss ich Unglückliche sehen, zu seiner Schande muss Griechenland sehen,
wie eine trojanische Sklavin mit ihm Thron
und Brautbett teilt…Vergeblich, Elektra,
liebst du den Grausamen…Doch soll eines Königs Tochter,
die königliche Vasallen hat, es dulden, dass
eine niedereSklavin nach dem hohen Gewinn greift?
O Wut, Qual und Schmerz!…Ich ertrage es nicht länger!

Nr. 4 - Arie

ELEKTRA
Euch alle fühle ich in meinem Herzen,
Furien des wilden Hades.
Dieser grossen Marter sind
Liebe, Gnade und Erbarmen fern.

Die mir dieses Herz raubte,
er, der das meine verriet,
sie sollen Rache und Grausamkeit
meines Zornes spüren.
geht ab


SIEBENTE SZENE
Strand am noch bewegten Meer, von steilen Felsen umgeben. Am Ufer die Trümmer eines Schiffs

Nr. 5 - Chor

Chor der schiffbrüchigen Seeleute

CHOR IN DER NÄHE
Erbarmen! Götter, Erbarmen!
Gerechte Götter, helft!
Wendet uns eure Blicke zu ...

CHOR IN DER FERNE
Erbarmen! Götter, Erbarmen!
Himmel, Meer und Sturm
werfen uns mit Entsetzen nieder ...

CHOR IN DER NÄHE
Erbarmen! Götter, Erbarmen!
Einem grausamen Tod in die Arme
treibt uns das bösartige Schicksal ...


ACHTE SZENE

Pantomime

Neptun erscheint auf dem Meer. Er gibt den Winden ein Zeichen, sich in ihre Höhlen zurückzuziehen. Das Meer beruhigt sich allmählich. Idomeneo erblickt den Meeresgott und ruft seine Macht an. Neptun richtet einen finsteren und bedrohenden Blick auf ihn und taucht in die Wellen zurück.

Rezitativ

IDOMENEO
Endlich sind wir gerettet.


NEUNTE SZENE
Idomeneo mit Gefolge

IDOMENEO
zu seinein Gefolge
Ihr, meine treuen Gefährten,
wenn Mars und Neptun tobten,
im Sieg und in der Not,
lasst mich hier
ein wenig Atem schöpfen
und dem heimatlichen Himmel
mein überstandenes Leid anvertrauen.

Das Gefolge zieht sich zurück, und Idomeneo geht allein, in Nachdenken versunken, weiter den Strand hinauf.

Still ist das Meer, ein sanfter Wind atmet
süsse Ruhe, und der blonde Gott färbt
die bläulichen Gestade golden: wohin ich blicke,
ist alles in Frieden geborgen und glücklich.
Nur ich, o Neptun, nur ich, erschöpft von Leid und Kampf
an diese wilde Küste geworfen,
verspüre diese Ruhe nicht in mir,
die ich von deinem Reich erflehte.

Unbedachtes, grässliches Gelübde,
grausamer Schwur! Ach, wer von euch Göttern
steht mir im Leben bei,
wer von eucht bringt mir wenigstens Hilfe?

Nr. 6 - Arie

IDOMENEO
Schon sehe ich,
wie der schrnerzerfüllte Schatten
mich Tag und Nacht urnschwebt.
»Ich bin unschuldig«,
wird er mir bedeuten,

Mit durchbohrter Brust
und blutlosem Körper
wird er an mein Verbrechen,
an das vergossene Blut
mich gemahnen.

Welch Entsetzen,
welch ein Schmerz!
Wie oft soll
vor Qual
dieses Herz
noch sterben?

Er sieht einen Mann näherkommen.

Rezitativ

IDOMENEO
Himmel! Was sehe ich! Schon nähert sich
das unselige Opfer ... und diese Hände
sollen das Werkzeug sein? … Ruchlose Hände!
Grausame, ungerechte Götter! Verfluchte Altäre!


ZEHNTE SZENE
Idamantes, Idomeneo abseits für sich

IDAMANTES
Ihr einsamen Ufer und ihr, zerklüftete Felsen,
sollt Zeugen meines Schmerzes sein und
meinem aufgewühlten Herzen freundliche
Bleibe gewähren ... Wie gleicht ihr der Härte
meines Loses, einsame Schreckensbilder! ...
Dort am Ufer sehe ich
zwischen den Resten zertrümmerter Schiffe
einen unbekannten Krieger ... Ich will ihn anhören,
will ihm Trost spenden
und seinen Gram in Freude wenden.
Ergeht auf Idomeneo zu und spricht ihn an.
Wer du auch seist, Krieger, fürchte nichts;
hier steht einer bereit zu deiner Hilfe,
der sie dir in diesem Land bieten kann.

IDOMENEO
für sich
Je länger ich ihn betrachte,
desto mehr verzehrt mich der Schmerz.
zu Idamantes
Den Rest meiner Tage
bin ich dir schuldig. Welchen Lohn
verlangst du von mir?

IDAMANTES
Mein Herz ist belohnt mit dem Glück,
dich aufgerichtet und
beschützt zu haben. Ach, zu sehr, mein Freund,
hat mein Unglück mich gelehrt,
ein Herz für das Unglück der anderen zu haben.

IDOMENEO
für sich
Diese Stimme! Welch Mitleid zerreisst mir die Brust!
zu Idamantes
Du bist unglücklich? Was sagst du? Ist das Mass
deiner Leiden schon so voll?

IDAMANTES
Himmel, was meiner Liebe
das Teuerste ist,
in diese Schlünde geworfen
liegt Idomeneo, der tote Held.
Doch warum dein Seufzen, deine Tränen?
Ist Idomeneo dir bekannt?

IDOMENEO
Es gibt keinen beklagenswerteren Menschen
als ihn und niemanden,
der sein schweres Schicksal mildert.

IDAMANTES
Was sagst du?
Lebt er noch?
für sich
Ihr Götter! ich hoffe wieder.
zu Idomeneo
Sage mir, Freund, sage mir,
wo ist er? Wo wird sein geliebter Anblick
mir das Leben wiedergeben?

IDOMENEO
Doch woher kommt
diese zärtliche Liebe,
die du für ihn hegst?

IDAMANTES
mit Nachdruck
Wo er doch der Vater ist …

IDOMENEO
ihn ungeduldig unterbrechend
Gott!
Rede: Wessen Vater ist er?

IDAMANTES
mit matter Stimme
Mein Vater ist er!

IDOMENEO
für sich
Ihr unbarmherzigen Götter!

IDAMANTES
Beklagst du mit mir
das Schicksal meines Vaters?

IDOMENEO
schmerzbewegt
Mein Sohn!…

IDAMANTES
glücklich
Vater! … Ihr Götter!
Wo bin ich? … Welches Entzücken! … Lass mich,
geliebter Vater, an deiner Brust …
will ihn umarmen
und eine Umarmung …

Der Vater weicht verwirrt zurück.

Ach! Warum zürnst du?
Wendest dich verzweifelt von mir ab? ... Wohin, wohin?

IDOMENEO
Folge mir nicht, ich verbiete es dir.
Besser für dich wäre gewesen, mich nicht jetzt und
hier zu erblicken. Hüte dich, mich wiederzusehen!
geht eilig ab

IDAMANTES
Kaltes Entsetzen lähmt mir die Sinne! …
Kaum sehe ich ihn, erkenne ich ihn,
entflieht er überstürzt meinen zärtlichen Worten.
Ich Unglücklicher! Womit habe ich ihn beleidigt,
und wie verdiene ich diesen Zorn, diese Drohungen? ...
Ich will ihn folgen und sehen, o hartes Los,
welch schweres Leid mir noch bevorsteht.

Nr. 7 - Arie

IDAMANTES
Den geliebten Vater
finde und verliere ich im selben Augenblick.
Er flieht mich im Zorn,
bebend vor Entsetzen.

Ich glaubte zu sterben
vor Freude und Liebe;
jetzt, ihr unmenschlichen Götter,
tötet mich der Schmerz.

Er geht schmerzbewegt ab.

Intermezzo

Das Meer ist ganz ruhig. Die Truppen der Kreter, die mit Idomeneo gekommen sind, gehen an Land. Die Krieger singen den nachfolgenden Chor zu Neptuns Ehren. Die Frauen Kretas eilen herbei und umarmen ihre glücklich heimgekehrten Angehörigen; ihrer Wiedersehensfreude geben sie Ausdruck in einem allgemeinen Tanz, der mit dem Chor endet. Kriegerischer Marsch während der Landung.

Nr. 8 - Marsch

Nr. 9 - Chor

ALLE
Neptun sei Ehre,
sein Name erschalle,
Anbetung diesem Gott,
dem Herrscher des Meeres;
mit Tänzen und Gesängen
soll er gefeiert sein.

EINIGE
Von weitem erkennt er
den Zorn Jupiters,
und in Blitzesschnelle
fährt er zur Ägäis hinab,
vom königlichen Thron aus
trifft er schnell seine Vorbereitungen,
lässt die feurigen
geschuppten Rosse
schleunigst anschirren.

Aus den Wellen hervor
lassen starke und kühne
Herolds-Tritonen
ringsum Trompeten
schmetternd erschallen.
Schon lacht der Tag,
weil der grosse Dreizack
das wütende Meer
zu zähmen verstand.

ALLE
Neptun sei Ehre, etc.

EINIGE
Auf goldenem Muschelhorn
als königliche Zier
bläst Neptun.
Palämon spielt,
noch ein Kind,
mit seinem Delphin
und mit Amphitrite.
Heute liess er uns über den Hades
triumphieren.
Liebliche Nereiden,
bezaubernde Nymphen,
die ihr, gemeinsam mit Galatea,
der grossen Göttin
den Festzug bereitet,
dankt doch
in unserem Namen den Göttern,
die unsere Tränen
versiegen liessen.

ALLE
Neptun sei Ehre, etc.

Jetzt lasst die Trompeten erschallen,
feierliche Opfer
wollen wir darbringen.


ZWEITER AUFZUG

Königliche Gemächer

ERSTE SZENE
Arbaces, Idomeneo

Rezitativ

ARBACES
Ich weiss alles.

IDOMENEO
Ich war stolzgeschwellt von so vielen Heldentaten,
da erwartete mich auf der Heimreise schliesslich der wilde Neptun…

ARBACES
Ich weiss auch, dass er,
mit Äolus und Jupiter im Bunde gegen dich,
sein Element aufpeitschte …

IDOMENEO
So sehr, dass er mich zu dem Gelübde trieb,
ihm einen Menschen zu opfern.

ARBACES
Und wen?

IDOMENEO
Den ersten,
der mir am Ufer ahnungslos
entgegenkommt.

ARBACES
Dann sage mir:
Wem bist du zuerst begegnet?

IDOMENEO
Zu deinem Entsetzen:
meinem Sohn …

ARBACES
entsetzt
Idamantes! … Mir schwinden die Sinne! …

IDOMENEO
Arbaces, gib mir einen Rat,
rette um Himmels willen, rette meinen Sohn.

ARBACES
nachdenklich , danach mit Entschlossenheit
Er müsste Unterschlupf in einem anderen Lande finden.
Wenn er sich nur vor dem Volk verborgen hielte!
Neptun wird schon auf andere Weise
zu beschwichtigen sein, und irgend ein anderer Gott
wird für ihn Sorge tragen.

IDOMENEO
Ein guter Rat, wahrhaftig …
Er sieht Ilia kommen.
Ilia naht, wehe! …
erst nachdenklich, dann entschlossen
Er soll nach Argos gehen und Elektra auf den Thron ihres Vaters zurückführen …
Gehe jetzt zu ihr und zu meinem Sohn.
Sage, sie sollen sich bereithalten;
erledige alles in Eile.
Hüte das Geheimnis. Dir vertraue ich.
Dir, mein teurer, getreuer Arbaces, verdankt mein Sohn das Leben, der Vater seinen Frieden.


ZWEITE SZENE
Idomeneo, Ilia

Rezitativ

ILIA
Wenn jemals der Gott von Delos in
allem Glanz über dem Horizont von Arges erschien,
so an diesem Tage, o Herr, an dem
deine erhabene Gegenwart deine geliebten
Untertanen ins Leben zurückruft und ihre Augen,
die deinen Tod beweinten, wieder erfreut.

IDOMENEO
Edle Prinzessin, die schöne Freude
kehre nun auch in deine Augen zurück.
Der lange Schmerz sei beendet.
Verfüge über mich, über meine Reichtümer,
Ilia, und ich will mich bemühen,
dir deutliche Beweise meiner Freundschaft
zu zeigen.

ILIA
Dessen bin ich gewiss, und würde schuldig, wollte ich daran zweifeln.


Nr. 11 - Arie

ILIA
Wenn ich den Vater verlor,
die Heimat, den Frieden,
zu Idomeneo
so bist du mir jetzt Vater,
und liebevolle Bleibe
ist mir Kreta.

Jetzt denke ich nicht mehr
an die Ängste und Qualen,
jetzt gab mir der Himmel
zum Ausgleich für meine Leiden
Freude und Glück.
geht ab


DRITTE SZENE
Idomeneo allein

Rezitativ

IDOMENEO
Diese schwer zu deutenden Worte
verwirren mir die Sinne!…Welch stürmische
Freude zeigt plötzlich trotz ihrer Lage
die phrygische Prinzessin! … Diese zärtlichen
Gefühle für den Prinzen, die sie zu erkennen gibt,
sollte vielleicht Liebe, Hoffnungsfreude aus ihnen sprechen? …
Ich täusche mich nicht, sie erwidert seine Liebe.
Allzu eilig, Idarnantes, hast du
jene Ketten gesprengt … Das ist das Vergehen,
das der Himmel an dir straft … Ja, dem Neptun
werden auf demselben Altar drei Opfer
dargebracht: der Sohn, der Vater und Ilia,
alle vom selben Schmerz erfüllt,
das eine Opfer vom Schwert, die beiden anderen vom Kummer gefällt.

Nr. 12b - Arie

IDOMENEO
Dem Meer entronnen, habe ich ein Meer in der Brust,
noch mörderischer als das erste.
Und Neptun wird auch in diesem
nie sein Drohen beenden.

Grausamer Gott! Sage mir wenigstens:
wenn mein Herz so nahe
dem Scheitern ist, welches böswillige Schicksal
hält es jetzt vom Scheitern zurück?
geht ab


VIERTE SZENE
Elektra allein

Rezitativ

ELEKTRA
Wer fühlte je süsseres Entzücken als ich?
Ich scheide, und der einzige Mensch,
den ich liebe und anbete, ihr Götter,
geht mit mir! Viel zu eng
ist mir das Herz für solche Freude!
Wenn wir erst fern von der Rivalin sind,
werde ich mit Reizen und Liebkosungen sehr wohl
bewirken, dass jenes Feuer, das ich vorher
nicht löschen konnte,
in ihren Augen erlischt und in den meinen sich entflammt.

Nr. 13 - Arie

ELEKTRA
Mein Alles, wenn widerstrebend
eine andere Geliebte dich mir zurückgibt,
so verletzt mich die Strenge deiner Liebe nicht,
vielmehr lockt mich ihre Würde.

Das Feuer, das dir nahe ist,
wird das ferne Feuer aus deiner Brust vertreiben,
mehr vermag die Hand Amors,
wenn das liebende Herz dir nahe ist.

aus der Ferne Klänge eines wohllautenden Marsches

Nr. 14 - Marsch und Rezitativ

ELEKTRA
Von weitem höre ich den Wohlklang,
der mich an Bord des Schiffes ruft. Ich eile dorthin.
Sie geht schnell ab.

Man hört den Marsch in dem Masse näher kommen, wie sich die Szene ändert.


FÜNFTE SZENE
Der Hafen von Sidon mit Schiffen entlang dem Ufer.
Elektra, eine Truppe von Kriegern aus Argos, Kreter und Seeleute.


Rezitativ

ELEKTRA
Gestade Sidons! Ihr grausamen
Zeugen meiner Tränen, meines Schmerzes,
meiner unglücklichen Liebe! Jetzt, da ein glücklicherer Stern
mich euch entführt, verzeihe ich euch: in Frieden
kehre ich euch endlich den Rücken
und sage euch ein letztes Lebewohl.'

Nr. 15 - Chor

CHOR
Das Meer ist friedlich, legen wir ab;
alle Zeichen stehen günstig,
ein glücklicher Ausgang ist uns beschieden,
ja, die Reise mag beginnen.

ELEKTRA
Sanfter Zephir,
wehe du allein
und besänftige den Zorn
des eisigen Nordwinds.
Gewähre uns
freundliches Geleit,
der du überall
Liebe ausschüttest.

CHOR
Das Meer ist friedlich, legen wir ab, etc.


SECHSTE SZENE
Idomeneo, Idamantes, Elektra, Gefolge des Königs

Rezitativ

IDOMENEO
Du musst nun reisen, Prinz.

IDAMANTES
Himmel!

IDOMENEO
Du zögerst zu lange.
Fahre jetzt, und möge kein zweifelhafter Ruhm
von tausend Heldentaten deiner Rückkehr
vorauseilen. Wenn du die Kunst des Herrschens
erlernen willst, dann fange jetzt an,
den Bedürftigen eine Stütze zu sein
und dich deines Vaters und deiner selbst immer würdiger zu erweisen.

Nr. 16 - Terzett

IDAMANTES
Ehe ich scheide, o Himmel,
lass mich einen Kuss
auf die Hand des Vaters drücken.

ELEKTRA
Lass meine Lippen
das dankbare Lebewohl meines Herzens sagen:
Lebe wohl, edler Herrscher!

IDOMENEO
zu Elektra
Gehe, du wirst glücklich sein.
zu Idamantes
Sohn! dies ist deine Bestimmung.

ALLE
Himmel, sei du unseren Wünschen gewogen!

ELEKTRA
Was alles darf ich hoffen!

IDAMANTES
Ich gehe!
für sich
Doch mein Herz bleibt hier.

ALLE
Lebe wohl!

IDOMENEO, IDAMANTES
jeder für sich
Grausames Schicksal!

IDAMANTES
für sich
Oh Ilia!

IDOMENEO
für sich
Mein Sohn!

IDAMANTES
Mein Vater! Wir müssen scheiden!

ELEKTRA
Ihr Götter! Was wird geschehen?

ALLE
Die Wirren mögen enden;
der gütige Himmel
wird helfen.

Während sie zum Schiff gehen, erhebt sich plötzlich ein Sturm.

Nr. 17 - Chor

CHOR
Welch neuer Schrecken!
Welch heiseres Gebrüll!
Die Wut der Götter
hat das Meer aufgepeitscht.
Neptun, Erbarmen!

Das Unwetter wird heftiger, das Meer schwillt an, der Himmel ist mit Blitz und Donner erfüllt. Die vielen Blitze setzen die Schiffe in Brand. Ein schreckliches Ungeheuer erhebt sich aus den Wellen.

CHOR
Welchen Hass, weichen Zorn
zeigt uns Neptun!
Wenn der Himmel zürnt,
welches ist unsere Schuld?
Der Schuldige, wer ist es?

Rezitativ

IDOMENEO
In mir siehe, grausamer Gott, den Schuldigen!
Ich allein irrte, mich allein strafe, und mich,
mich allein treffe dein Zorn. Mein Tod möge
dir endlich genügen: doch solltest du ein anderes
Opfer für mein Vergehen fordern, so kann ich dir
ein unschuldiges nicht geben, und willst du es dennoch haben,
so bist du ungerecht, verlangen kannst du es nicht.

Das Unwetter dauert an. Die entsetzten Kreter fliehen und drücken im folgenden Chor mit Gesang und Pantomime ihren Schrecken aus, so dass alles sich als entsprechende Handlung darstellt, bis der Akt mit dem üblichen Divertimento schliesst.

Nr. 18 - Chor

CHOR
Laufen wir, fliehen wir
dieses grausame Ungeheuer!
Ach, schon sind wir seine Beute!
Heimtückisches Schicksal,
wer ist unbarmherziger als du?

DRITTER AUFZUG

Königlicher Garten

ERSTE SZENE
Ilia allein

Rezitativ

ILIA
Tröstende Einsamkeit, liebliche Lüfte,
blühendes Grün, ihr anmutigen Blumen, hört
die Klagen, die eine unglücklich Liebende
euch in ihrem Elend anvertraut.
Was kostet dich das Schweigen vor meinem Sieger,
was die Verstellung, mein betrübtes Herz!

Nr. 19 - Arie

ILIA
Schmeichelnder Zephir,
wehe doch hin zu meinem Liebsten
und sage ihm, dass ich ihn anbete
und sein Herz mir die Treue wahren soll.

Und du, grünende und blühende Natur,
die heute meine bittere Träne netzt,
sage ihm aufrichtig, dass du niemals eine stärkere
Liebe unter dem Himmel gesehen hast.

Rezitativ

ILIA
Da kommt er selbst … Ihr Götter! … Soll ich mich ihm offenbaren oder schweigen?
Soll ich bleiben … fortgehen … oder mich verbergen? …
Ach, ich kann mich nicht entscheiden, ich weiss nicht, was ich tun soll!


ZWEITE SZENE
Idamantes, Ilia

Rezitativ

IDAMANTES
Prinzessin, wenn ich es noch einmal wage,
dir unter die Augen zu treten, so verleiten mich nicht
die unbedachten Gefühle; jetzt will ich nichts
anderes als deinen Seelenfrieden und meinen Tod.

ILIA
Deinen Tod? Du, Prinz?

IDAMANTES
Je länger ich bleibe, um so mehr entbrennt meine
Liebe zu dir, und meine Schuld wird schwerer.
Warum die Strafe noch länger hinauszögern?

ILIA
Aber aus welchem Grund suchst du den Tod?

IDAMANTES
Mein Vater,
ausser sich und voller Zorn,
grollt mir und weicht mir aus;
er verbirgt mir den Grund.
In deinen Ketten gefangen, liefert mich deine
Strenge neuen Qualen aus. Ein wildes Ungeheuer
richtet überall furchtbare Verwüstungen an. Ich will
ihm im Kampf entgegenziehen,
will es besiegen
oder im Tod das Ende meiner Leiden suchen.

ILIA
Besänftige, Prinz, diesen verhängnisvollen Eifer.
Bedenke, dass du die einzige Hoffnung
eines grossen Reiches bist.

IDAMANTES
Ohne deine Liebe,
Ilia, ohne dich ist mir an nichts gelegen.

ILIA
Ich Unglückliche! … Ach, schütze dein Leben!

IDAMANTES
Ich habe meinem unerbittlichen Schicksal zu folgen.

ILIA
Lebe! Ilia fordert es von dir.

IDAMANTES
Ihr Götter! Was höre ich?
Geliebte Prinzessin! …

ILIA
Das verwirrte Herz
verbarg nur schlecht
vor dir meine Schwäche;
zuviel Liebe und Angst
wohnen ungeteilt in meiner Brust.

IDAMANTES
Höre ich recht? Entweder das Ohr bildet sich nur ein,
was es sich wünscht, oder die heisse Glut
verwirrt mir die Sinne, und ein süsser Traum
umgaukelt das bedrängte Herz.

ILIA
Ach, warum zeigte ich nicht eher meine Leidenschaft
und liess dich meine Liebe erkennen? Tausendmal
bereut es meine Seele. Meine heilige Pflicht, Stand und Ansehen,
das Vaterland, das noch dampfende Blut der Meinen,
ach, wieviele Vorwürfe erheben sie gegen mein Herz
und seine Liebe zu einem Feind! ... Doch was soll ich jetzt tun? -
Da ich dich in höchster Gefahr sehe, Geliebter,
und nur ich dich zurück halten kann, so höre, was ich dir wieder und wieder sage:
ich liebe dich, ich bete dich an. Und wenn du den Tod suchst -
du kannst nicht sterben, ehe mich der Schmerz umbringt.

Nr. 20a - Duett

IDAMANTES
Sterbe ich nicht bei diesen Worten,
so ist es nicht wahr, dass Liebe tötet,
dass die Freude ein Herz erdrückt.

ILIA
Kein Schmerz, keine Klagen mehr;
ich stehe dir treu zur Seite;
du bist mir das Teuerste im Leben.

IDAMANTES
Du wirst …

ILIA
alles sein, was du willst.

IDAMANTES
Meine Braut …

ILIA
Mein Bräutigam
wirst du.

IDAMANTES, ILIA
Die Liebe soll es bestätigen.
Ach, die Freude ist grösser
als die erlittene Qual.
Unsere Liebe besiegt alles.


DRITTE SZENE
Idomeneo, Elektra und die Vorigen

Rezitativ

IDOMENEO
für sich
Himmel! Was sehe ich!

ILIA
zu Idamantes
Wir sind entdeckt, Geliebter.

IDAMANTES
zu Ilia
Fürchte nichts, meine Liebste.

ELEKTRA
für sich
Da ist der Ungetreue.

IDOMENEO
für sich
Meine Ahnung war richtig. Grausames Schicksal!

IDAMANTES
Herr, ich wage dich schon nicht mehr
Vater zu nennen: Gewähre
einem unglücklichen Untertanen
wenigstens eine einzige Gnade.

IDOMENEO
Sprich.

ELEKTRA
für sich
Was wird er sagen?

IDAMANTES
Womit habe ich dich je beleidigt? Warum gehst du mir aus dem Wege?
Hassest du, verabscheust du mich?

ILIA
für sich
Ich bebe.

ELEKTRA
für sich
Ich würde es dir sagen.

IDOMENEO
Mein Sohn, im Zorn gegen mich liess Neptun mein Herz zu Eis erstarren,
jede deiner Zärtlichkeiten verdoppelt meine Qual,
dein Leid beschwert auch mir das Herz,
und ich kann dich nicht ansehen ohne Schauder und Entsetzen.

ILIA
für sich
O Gott!

IDAMANTES
Vielleicht habe ich den Zorn Neptuns verschuldet? -
Was aber ist meine Schuld?

IDOMENEO
Könnte ich ihn doch
ohne dich besänftigen!

ELEKTRA
für sich
Könnte ich jetzt doch
meine Schmach rächen!

IDOMENEO
zu Idamantes
Geh, ich befehle es dir,
fliehe den heimatlichen Strand und suche anderswo
sichere Zuflucht.

ILIA
Weh mir!
zu Elektra
Mitfühlende Prinzessin, ach tröste mich!

ELEKTRA
Ich sollte dich trösten? Doch wie? …
für sich
Jetzt beleidigt
die Schändliche mich auch noch.

IDAMANTES
Also gehe ich! … Aber wohin? …
O Ilia! … o Vater!

ILIA
entschlossen
Ich will dir folgen oder sterben, mein Geliebter.

IDAMANTES
Bleibe hier, Liebste, und lebe in Frieden. Lebe wohl!

Nr. 21 - Quartett

IDAMANTES
Ich gehe, einsam umherziehend,
den Tod anderswo suchend,
bis ich ihn gefunden habe.

ILIA
Du hast mich zur Gefährtin im Leid,
wo immer du bist und wo
du stirbst, sterbe ich auch.

IDAMANTES
Ach nein!

IDOMENEO
Unbarmherziger Neptun!
Wer hat Mitleid und tötet mich?

ELEKTRA
für sich
Wann werde ich gerächt sein?

IDAMANTES, ILIA
zu Idomeneo
Mildere den zornigen Blick.

IDOMENEO, IDAMANTES, ILIA
Mir bricht das Herz!

ALLE
Mehr kann man nicht ertragen.
Schlimmer als der Tod ist
so grosser Schmerz.
Ein grausameres Schicksal,
eine schwerere Qual
hat niemand erlitten!

Idamantes geht schmerzerfüllt ab.


VIERTE SZENE
Arbaces, Idomeneo, Ilia, Elektra

Rezitativ

ARBACES
Mein König, vor deinem Palast ist eine gewaltige
Volksmenge zusammengelaufen und fordert laut,
mit dir zu sprechen.

ILIA
für sich
Auf neuen Kummer
sei gefasst, mein Herz.

IDOMENEO
für sich
Mein Sohn ist verloren.

ARBACES
Der Oberpriester des Meeresgottes
führt sie an.

IDOMENEO
für sich
Ach, zu verzweifelt ist der Fall!
zu Arbaces
Ich habe verstanden, Arbaces.

ELEKTRA
für sich
Welch ein neues Unglück?

ILIA
für sich
Das Volk im Aufruhr …

IDOMENEO
Ich gehe hin und höre sie an.
geht verwirrt ab

ELEKTRA
Ich gehe mit dir!
geht ab

ILIA
Auch ich will mit dir gehen.
geht ab


FÜNFTE SZENE
Arbaces allein

Rezitativ

ARBACES
Unglückliches Sidon! Welch düstere Bilder von Tod,
Vernichtung und Entsetzen bietest du meinem Auge!
Nein, Sidon bist du nicht mehr,
du bist die Stadt der Tränen, und dieser Palast
ist ein Hort des Schmerzes! …
So hat denn der Himmel
für uns kein Erbarmen? …
Wer kann es wissen? Noch habe ich Hoffnung,
dass ein gütiger Gott milde wird vor so viel Blut;
ein Gott allein ist genug, alle anderen umzustimmen;
die Strenge wird der Milde weichen … doch noch
finde ich keinen, der uns mitleidvoll anblickt …
Der Himmel ist taub! Ich sehe schon, wie Kreta
seinen ganzen Ruhm unter ragenden Ruinen zu
Grabe trägt! Nein, eher wird sein Elend nicht enden.


SECHSTE SZENE
Grosser, mit Statuen geschmückter Platz vor dem Palast, dessen Vorderfront auf der einen Bühnenseite sichtbar ist.

Idomeneo, begleitet von Arbaces und dem königlichen Gefolge, tritt auf; geleitet von Arbaces, setzt sich der König auf den für öffentliche Audienzen bestimmten Thron; der Oberpriester und eine grosse Volksmenge.


Nr. 23 - Rezitativ

OBERPRIESTER
Lasse deinen Blick kreisen, König, und erkenne,
welch furchtbare Vernichtung das grausame
Ungeheuer in deinem edlen Reich anrichtet.
Sieh die Strassen unter Meeren von Blut.
Schritt auf Tritt wirst du einen Leidenden finden,
dessen Körper eine Seele entweicht,
die geschwollen ist von schwarzem Gift.
Tausende und Abertausende sah ich selbst in diesem gewölbten und schmutzigen Bauch
umkommen, begraben, bevor sie gestorben waren.
Immer trieft sein Rachen von Blut, und immer grösser
wird seine Gefrässigkeit. Von dir allein hängt es ab,
den Ausweg zu finden, du kannst den Rest deines Volkes
dem Tode entreissen; es schreit auf in Entsetzen
und fleht dich um Hilfe an, und du zögerst noch? …
Zum Tempel, König, zum Tempel!
Wer ist das Opfer, und wo ist es? …
Gib Neptun, was sein ist …

IDOMENEO
Nicht weiter … heiliger Priester.
Und du, Volk, höre mich an:
Das Opfer ist Idamantes, und jetzt werdet ihr sehen,
o Götter, mit welchen Empfindungen?,
wie der Vater den eigenen Sohn tötet.
geht fassungslos ab

Nr. 24 - Chor

VOLK
Furchtbares Gelübde!
Entsetzliches Schauspiel!
Schon regiert der Tod,
grausam reisst er
die Pforten des Abgrunds auf.

OBERPRIESTER
Barmherziger Himmel!
Der Sohn ist schuldlos,
das Gelübde ist unmenschlich;
halte die Hand
des liebenden Vaters auf.

CHOR
Furchtbares Gelübde! etc.

Alle gehen schmerzbewegt ab


SIEBENTE SZENE
Aussenansicht des prächtigen Neptuntempels mit geräumig umlaufender Vorhalle, die den Blick auf den in der Ferne gelegenen Meeresstrand freigibt.

Vorhalle und Galerien des Tempels sind voller Menschen, die Priester sind mit den Vorbereitungen für das Opfer beschäftigt. Idomeneo tritt auf, von grossem und prunkvollem Gefolge begleitet.


Nr. 25 - Marsch

Nr. 26 - Kavatine mit Chor

IDOMENEO
Erhöre, Gott des Meeres, unsere Gebete,
mildere deinen Zorn, deine Strenge!

PRIESTER
Erhöre, Gott des Meeres, unsere Gebete,
mildere deinen Zorn, deine Strenge!

IDOMENEO
Lass den Südost und den Südwind in ihre Höhlen,
den Zephir statt ihrer zum Meer zurückkehren, lass das Wüten enden.
Nimm die Reue und die Liebe derer an,
die dir ergeben sind, und erzeige uns deine Gnade!

PRIESTER
Erhöre, Gott des Meeres, etc.

CHOR
Strahlender Sieg!
Ewig ist dein Ruhm;
freue dich, König!

Rezitativ

IDOMENEO
Welcher Siegesjubel
erschallt hier ringsum?


ACHTE SZENE
Arbaces in Eile und die Vorigen

ARBACES
König, der Prinz,
der Held Idamantes,
suchte verzweifelt den Tod
und fand den Sieg. Wütend stürzte er sich
auf das verruchte Ungeheuer, überwand und tötete es.
Endlich sind wir gerettet,

IDOMENEO
Wehe uns!
Von neuem Zorn gegen uns
wird Neptun entflammt sein … Jetzt, Arbaces,
wirst du erst recht zu deinem Schmerz erleben,
dass Idamantes findet, was er suchte,
er selbst wird
des Todes Beute sein.

ARBACES
sieht, wie Idamantes hereingeführt wird
Was sehe ich! … Ihr Götter!


NEUNTE SZENE
Idamantes in weissem Gewand, mit einem Blumenkranz auf dem Kopf, umgeben von Wachen und Priestern. Die Volksmenge in Trauer, die Vorigen

Nr. 27 - Rezitativ

IDAMANTES
Vater, mein geliebter Vater, ach süsser Name!
Sieh mich hier zu deinen Füssen. In diesen letzten
unheilvollen Augenblicken empfange auf deiner Rechten,
die deinem Blut den Weg aus meinen Adern
öffnen muss, die letzten Küsse.
Jetzt begreife ich, dass deine Verstörung
nicht Zorn war, sondern väterliche Liebe.
Tausend- und tausendmal
glücklicher Idamantes,
wenn der, der das Leben dir gab, das Leben dir
nimmt und, es nehmend, dem Himmel zurückgibt,
um dafür vom Himmel das seine zu erlangen
und für die Seinen beständigen Frieden
und der Götter heilige und wahrhaftige Liebe.

IDOMENEO
Mein Sohn! Mein geliebter Sohn! …
Vergib, nicht ich habe
das grausame Amt mir erwählt, es ist die Strafe des Schicksals …
Unmenschliches, ungerechtes Schicksal! … Nein, ich kann nicht
gegen einen unschuldigen Sohn
die gefühllose Axt erheben … Aus jeder Faser
entweichen mir schon die Kräfte, und finstere Nacht
verdunkelt mir die Augen … Mein Sohn! …

IDAMANTES
matt, danach mit Entschlossenheit
Vater! …
Lass dich nicht von fruchtlosem Mitleid zurückhalten
noch von vergeblichen Liebesempfindungen
erweichen. Vollführe den Schlag,
der uns beide dem Leiden entreisst.
Aber warum länger zögern?
Hier bin ich, das Opfer zu bringen, den Schwur zu halten.

IDOMENEO
Oh, wie fühle ich
ungeahnte Kraft in allen Adern …
Entschlossen bin ich … die letzte Umarmung
nimm … und stirb.

IDAMANTES, IDOMENEO
O Gott! …

IDAMANTES
für sich
Ilia … weh mir! …
zu Idomeneo
Lebe glücklich.

IDAMANTE, IDOMENEO
Lebe wohl


ZEHNTE SZENE
Ilia in Eile, Elektra und die Vorigen

ILIA
Idomeneo am Arm festhaltend
Halt ein, König, was tust du?

IDOMENEO
Ich töte das Opfer,
das ich Neptun versprach.

IDAMANTES
Ilia, beruhige dich …

OBERPRIESTER
zu Ilia
Störe nicht das Opfer ...

ILIA
Vergeblich
sucht diese Axt eines anderen Brust
zu verwunden. Hier, König, ist die meine,
das Opfer bin ich.

IDAMANTES
Geliebte! Ach, gib mir
ein letztes Pfand deiner Liebe.

ILIA
Hier ist mein Blut.

IDAMANTES
Oh nein, lass mir den Ruhm, in Frieden
für mein Vaterland zu sterben.

ILIA
Auf mich wartet …

IDAMANTES
O Gott! In mir ist Pflichtgefühl;

ILIA
In mir ist Dankbarkeit,
doch die Liebe entbindet dich!
Neptun! Ich bin dein!
Sie läuft zum Altar und will niederknien.

IDAMANTES
sie zurückhallend
Entweder du lebst und gehst fort
oder wir sterben zusammen.

ILIA
Nein, allein will ich den letzten Fluss überqueren;
ich bin dein, heiliger Priester …
Sie kniet vor dem Oberpriester nieder.

Man hört grossen unterirdischen Lärm, die Statue Neptuns bewegt sich; der Oberpriester steht verzückt vor dem Altar. Alle sind entsetzt und starr vor Schrecken. Eine tiefe und schwere Stimme verkündet den folgenden Spruch des Himmels.


Nr. 28d - La Voce

DIE STIMME
Amor hat gesiegt … Idomeneo
lege sein Königsamt nieder … König sei Idamantes … und Ilia
seine Gemahlin. Neptun gebe sich zufrieden,
der Himmel sei versöhnt, die Unschuld belohnt.
Dem Königreich Kreta schenkt er den Frieden wieder.

Nr. 29 - Rezitativ

IDOMENEO
Barmherziger Himmel!

IDAMANTES
Ilia …

ILIA
Idamantes, hast du gehört?

ARBACES
O Freude! o Liebe, o ihr Götter!

ELEKTRA
Aufruhr! Empörung! …
Verzweifelte Elektra!
Soll ich Idamantes in den Armen der Rivalin sehen?
Nein, meinem Bruder Orest
will ich in die finsteren Abgründe folgen.
Bald wirst du mich
zur Gefährtin haben dort im Hades,
zu ewigem Leid, zu ewigen Tränen.

Nr. 29a - Arie

ELEKTRA
Die Qualen des Orest, des Ajax
fühle ich in der Brust,
die Fackel der Alekto
gibt mir schon den Tod.

Zerreisst mir das Herz,
ihr Vipern und Schlangen,
oder ein Dolch soll meinem Schmerz
ein Ende setzen.

geht wutentbrannt ab


LETZTE SZENE
Idomeneo, Idamantes, Ilia, Arbaces, Gefolge Idomeneos, Idamantes'und Ilias, Volk

Nr. 30 - Rezitativ

IDOMENEO
Mein Volk, als König ruft Idomeneo
sein letztes Gesetz aus. Ich verkünde euch Frieden.
Vollzogen ist das Opfer, das Gelübde erfüllt,
Neptun und alle anderen Götter
sind diesem Reich gewogen. Es bleibt zu tun,
dass jetzt Idomeneo ihrem Zeichen folgt. Wie willkommen,
ihr erhabenen Götter, ist mir dieses Zeichen!
Seht hier einen anderen König, mein anderes Ich:
Meinem Sohn Idamantes, dem teuren Sohn,
überlasse ich Kretas Thron und damit
alle höchste Macht. Achtet seine Befehle
und führt sie gehorsam aus,
wie ihr die meinen ausgeführt und geachtet habt;
nehmt meinen Dank dafür. Dies ist das Gesetz.
Hier ist die königliche Braut. Erblickt
in diesem schönen Paar ein Geschenk des Hirnmels,
für euch bewahrt. Was alles dürft ihr hoffen!
Gesegnetes Kreta! Ich Glücklicher!

Nr. 30a - Arie

IDOMENEO
Der Friede kehrt ins Herz zurück,
zurück kehrt die erloschene Glut;
in mir erblüht das Alter neu.

So lässt die Zeit der Flora
den bejahrten Baum erblühen
und gibt ihm neue Kraft.

Es folgt die Krönung Idamantes', die pantomimisch ausgeführt wird; der Chor wird während der Krönung und des Balletts gesungen.

Nr. 31 - Chor

CHOR
Amor steige herab, Hymen steige herab,
und Juno, die Göttin der Ehe,
senke den königlichen Gatten
von jetzt an Seelenfrieden in das Herz!


Nr. 32 - Ballett (KV 367)

Chaconne
Larghetto
La Chaconne qui reprend
Largo - Allegro - Largo