Libretto: Il ritorno d'Ulisse in patria

von Claudio Monteverdi


Personen:
L'HUMANA FRAGILITÀ (Bariton)
TEMPO (Bass)
FORTUNA (Sopran)
AMORE (Sopran)

GIOVE (Bariton)
NETTUNO (Bass)
MINERVA (Sopran)
GIUNONE (Sopran)

ULISSE (Bariton)
PENELOPE (Mezzosopran)
TELEMACO (Tenor)

ANTINOO, Freier der Penelope (Bass)
PISANDRO, Freier der Penelope (Tenor)
ANFINOMO, Freier der Penelope (Countertenor)

IRO, ein Vielfrass (Tenor)
MELANTO, Dienerin Penelopes (Sopran)
EURIMACO, Liebhaber Melantos (Tenor)
ERICLEA, Amme des Ulisse (Mezzosopran)
EUMETE, Hirte des Ulisse (Bariton)

FEACI (Countertenor, Tenor, Bass)
CORO IN CIELO (2 Soprane, Mezzosopran, Tenor)
CORO MARITIMO (Countertenor, 2 Tenöre, Bass)



PROLOG

DIE MENSCHLICHE ZERBRECHLICHKEIT
Sterblich bin ich, menschlich beschaffen;
das Geringste trübt mich, und schon ein Hauch kann mich zerbrechen.
Die Zeit erzeugt mich und greift mich an.

DIE VERGÄNGLICHKEIT
Nichts ist heil
vor dem Zahn der Zeit,
der mit Genuss nagt.
Flieht nicht, ihr Sterblichen!
Ich hinke zwar, doch habe ich Flügel.

DIE MENSCHLICHE ZERBRECHLICHKEIT
Sterblich bin ich, menschlich beschaffen;
aussichtslos suche ich nach einer vor Gefahren sicheren Stätte,
denn das zerbrechliche Leben ist ein Glücksspiel.

DAS SCHICKSAL
Wünsche, Freude und Schmerz
bilden mein Wesen.
Blind bin ich und taub,
ich sehe und höre nicht;
Reichtümer und Grösse
verteile ich nach meiner Laune.

DIE MENSCHLICHE ZERBRECHLICHKEI-r
Sterblich bin ich, menschlich beschaffen.
Amor, dem Tyrann, gilt das Opfer
der kurzen Spanne meines grünen Alters.

DIE LIEBE
Gott, der Götter Verwunder
nennt mich, Amor, die Welt.
Als beflügelter blinder Schütze
schleudere ich die Pfeile, denen kein Schild gewachsen.

DIE MENSCHLICHE ZERBRECHLICHKEIT
Armselig, menschlich beschaffen bin ich wahrhaftig-.
Ist doch verhängnisvoll, Blinden und Hinkenden zu folgen!

VERGÄNGLICHKEIT, SCHICKSAL, LIEBE
Durch mich wird dieser Mensch zerbrechlich sein.
Durch mich wird dieser Mensch armselig sein.
Durch mich wird dieser Mensch trübselig sein.
Erbarmungslos flieht die Zeit dahin!
Erbarmungslos lockt das Glück!
Erbarmungslos schleudert Amor seine Pfeile!
Zerbrechlich, armselig, trübselig sei dieser Mensch!

ERSTER AKT

ERSTE SZENE
Im königlichen Palast, Penelope, Euryklea

PENELOPE
Ich unglückselige Königin! Meine unnennbaren Leiden kennen kein Ende!
Der Erwartete kehrt nicht zurück und es vergehen meine Jahre:
Die qualvolle Zeit ist, ach, zu lang,
es spürt ihre drückende Last der Leidgeprüfte.
O irreführende Hoffnung! O altgewordene Hoffnung'
Der langjährigen Qual ist Heilung nicht beschieden.
Zwei Jahrzehnte vergingen seit dem Tage,
da durch die Entführung
der stolze Troer seine erhabene Heimat ins Unglück stürzte,
Zu Recht brannte Troja nieder,
denn die unreine Liebe, ein greulich Verbrechen,
wird mit dem Feuer bestraft;
aber zu Unrecht
durch fremde Schuld bin ich, Unschuldige,
zu jammervollem Leid verurteilt.
Kluger, weiser Odysseus,
der du dich rühmst, Treubruch zu strafen!
Du kämpfst verbissen mit scharfen Waffen,
zu rächen die Verfehlungen einer treulosen Griechin,
und lässt dein treues Weib
unter Feinden zurück,
ihre Ehre, ja selbst ihr Leben in Gefahr.
Der Abreise muss Heimkehr folgen,
allein du kennst diesen Tag nicht.

EURYKLEA
Unglückliche Euryklea, untröstliche Dienerin!
Du teilst den Schmerz deiner geliebten Königin.

PENELOPE
Ändert sich nicht mein Los?
Tauschte Fortuna etwa das unstete Rad
mit einem festen? Und ihre Segel,
die das menschliche Schicksal
durch dauernden Wechsel führen,
bewegt kein Windhauch für mich?
Für andere allein wandelt sich das Antlitz
der beweglichen Sterne.
Komm zurück, ach, kehr heim Odysseus!
Kehr heim, Odysseus! Penelope harrt deiner;
es seufzt die Unschuldige,
es weint die Verlassene,
doch ohne dem Schuldigen zu zürnen;
der leidgeprüften Seele
verzeihe ich
und nenne sie nicht grausam,
doch grausam nenne ich das Schicksal
und klage, um dich zu schonen,
den Himmel an als meinen Feind.
O kehr beim Odysseus!

EURYKLEA
Abschied ohne Rückkehr ist nicht der Sterne Wille.
Unsetiger Abschied!

PENELOPE
Über das Meer kehrt die Ruhe wieder,
und der Zephir über die Wiese,
während die Morgenröte die Sonne süss empfängt
und den wiederkehrenden Tag.
Es kehrt das Nasse zur Erde zurück,
es kehrt der Stein zur Mitte,
und gleitenden Schrittes
läuft zum Ozean der Strom.
Der Mensch, der auf Erden lebt,
seinem Ursprung fern,
besitzt eine himmlische Seele und einen zerbrechlichen Körper,
Bald stirbt der Sterbliche,
und es kehrt seine Seele zum Himmel,
nach kurzem Dasein
wird sein Körper zu Staub.
llein du kennst keine Rückkehr!
Kehr heim, denn während du
tiefen Schmerz mir zufügst,
sehe ich meines Todes vorgezeichnete Stunde.
Komm zurück, ach, kehr heim Odysseus!

ZWEITE SZENE
Melantho, Eurymachos

MELANTHO
Bittere Qualen
leidet der Liebende
in seinem Verlangen,
doch schliesslich teuer
wird das Erlittene,
das erst bekümmerte.
Ein entflammtes Herz
ist ein Feuer derFreude,
und es vrliert nicht,
wer das Spie der Liebe treibt.
Wer erst entflammt,
der geht dem Sturm entgegen,
den ein weisser Busen entfesselt,
doch selbst im Sturme
findet er in der Liebe
einen Hafen der Ruhe.
Erst wird man weinen,
doch endlich sich freuen:
Es verliert nicht
wer das Spiel der Liebe treibt.

EURYMACHOS
Meine schöne, reizende Melantho!
Dein Gesang ist beglückend
dein Antlitz bezaubernd.
Meine schöne Melantho!
Alles an dir ist verlockend
und fesselt den, den du entflammst.

MELANTHO
Redseliger Schmeichler,
o wie gut du verstehst
die Schönheit zu besingen,
zu deinem Vorteil
den Glanz eines Antlitzes zu beschreiben.
Schmeichle mir nur
mit deinen süssen Lügen!

EURYMACHUS
Lüge wäre es,
wenn ich dich besänge, ohne dich zu lieben.
Einer Göttin gegenüber
die Verehrung zu verschweigen
wäre erst Lüge!

MELANTHO, EURYMACHOS
Unserer gemeinsamen Liebe
lodere die Flamme empor!
Die nicht erwiderte Liebe ist eine Beleidigung;
aber es ziemt sich nicht,
Liebe mit Beleidigungen zu belohnen.
Liebe ich dich nicht, mein Herz, so soll meine Seele
vor deinen Augen vereisen!
Wenn dich mein Herz nicht ständig begehrt,
soll mir die Welt keine Stätte, der Himmel kein Dach mehr sein!
Du mein süsses Leben!
Mein höchstes Gut!
Die schöne Fessel löse sich nie!
Oh, wie mich der Wunsch beseelt,
Eurymachos, mein Leben,
ohne jede Reue und Schranke
mit dir meinen Liebestraum zu erfüllen!
O wie gern tauschte ich
diesen königlichen Palast mit einer Wüste,
wo neugierige Augen
uns nicht verfolgen könnten,
denn einer stürmischen Brust
ist jede Schranke zuwider.

EURYMACHOS
Nun versuche du erneut,
ihr Liebesfeuer zu entfachen!

MELANTHO
Ich will ihre unnachgiebige Seele bedrängen
und ihr Herz,
Tempel der Keuschheit.

MELANTHO, EURYMACHOS
Du mein süsses Leben!
Mein höchstes Gut!
Die schöne Fessel löse sich nie!

FÜNFTE SZENE
Poseidon erscheint aus dem Meer. Zeus

POSEIDON
Stolz ist der Mensch und seiner Schuld Ursache.
Der gütige Himmel ist nur allzugern bereit,
Beleidigungen zu verzeihen.
Es kämpft mit dem Schicksal,
es wagt alles die menschliche Freiheit,
und ungezähmt streitet
der Wille des Menschen gegen den des Himmels!
Doch wenn auch Zeus, der Gütige,
die Vergehen der Menschen zu leicht verzeiht,
ruhe, wenn es ihm beliebt,
in seiner Rechten ungenutzt der Blitz,
nicht aber leide Poseidons Ehre
durch der Menschen Sünde!

ZEUS
Grosser Gott der salzigen Fluten!
Warum murmelst du und schiltst
gegen die Barmherzigkeit des höchsten Gottes?
Zum Höchsten machte mich
mein mitleidiges Gemüt
eher als die bewaffnete Hand.
Der Blitz zerschmettert,
während eine milde Gesinnung überzeugt
und bewirkt Verehrung;
aber das Zerstörte ist nicht der Verehrung fähig.
Doch welche gerechte Rachsucht
macht dich schelten
gegen Zeus' höchste Güte?

POSEIDON
Die kühnen Phäaken haben,
gegen den Befehl meiner Hoheit,
Odysseus in seine Heimat Ithaka geführt.
So hat die menschliche Tollheit
den göttlichen Willen umgangen und betrogen!
Schande und nicht Barmherzigkeit heisst es,
solche Greuel ungestraft zu dulden.
Und so nur dem Namen nach
sind die Götter göttlich!

ZEUS
Deine Rache missbilligt der Himmel nicht,
denn gemeinsame Bestimmung macht uns einig.
Du kannst die Tollkühnen selbst bestrafen.

POSEIDON
Nachdem mir dein göttlicher Wille es nicht verwehrt,
will ich den schamlosen Hochmut bestrafen:
Das fahrende Schiff werde ich in einen Fels verwandeln!

ZEUS
So sei dein Wunsch erfüllt,
man spüre deine Macht,
der Fluten höchster Gott!
Wer gegen deine Gottheit sündigte,
soll zu Fels erstarren!

SECHSTE SZENE
Die Phäaken auf dem Schiff. Poseidon

CHOR DER PHÄAKEN
Auf dieser niederen Welt
vermag der Mensch alles;
jede Tat kann er vollbringen,
denn der Himmel lässt alles
teilnahmslos geschehen.

POSEIDON
verwandelt das Schiff in einen Fels
Um einen Fels bereichert
seien die schnellen Fluten.
Mögen die Phäaken lernen an diesem Tag,
dass die menschliche Reise
gegen den Willen der Götter keine Rückkehr kennt.

SIEBENTE SZENE
Odysseus erwacht

ODYSSEUS
Schlafe ich noch oder wach' ich?
Welche Gegenden umgeben mich?
Welche Luft atme ich ein?
Welchen Boden betrete ich?
Schlafe ich noch oder wach' ich?
Wer wandte mir
den süssen, umschmeichelnden Schlaf
zum Quäler?
Wer wandelte meine Ruhe in tiefstes Unglück?
Welche Gottheit der Schlafenden war es?
O Schlaf, Schlaf der Sterblichen!
Des Todes Bruder nennt dich mancher.
Einsam, verlassen, enttäuscht und betrogen,
erkenne ich dich genau, Vater des Irrtums!
llein meiner Irrtümer trage ich die Schuld:
Denn die Finsternis ist dem Schlaf verwandt;
wer der Finsternis vertraut,
klagt zu Unrecht sein Verderben.

O fortwährend missgestimmte Götter,
nimmerbesänftigte Götter,
grausam selbst gegen den schlafenden Odysseus!
Eure göttlichen Fügungen
walten gegen den Willen des Menschen;
lasst aber, ach, den Toten ihren Frieden!
Phäaken, ihr Betrüger!
Ihr versprachet,
mich heil auf mein Land Ithaka zu fahren
samt meinen ReidHümern und Schätzen.
Phäaken, ihr Wortbrecher!
Warum habt ihr mich nun verlassen
auf diesem offenen,
wüsten, leeren Strand,
untröstlich und verloren?
Und ihr fahrt unbesorgt durch Luft und Wasser
belastet mit solch grausamen Verbrechen!
Wenn solche schändliche Greuel nicht bestraft werden,
überlass, Zeus, den Blitzen die Aufgabe,
denn das Gesetz des Zufalls ist sicherer.
Euren Segeln,
ihr falschen Phäaken,
seien die Winde immer feindlich!
Wie leichte Federn oder schwere Felsen
seien eure Schiffe im Meer:
Im Sturm leicht und schwer im günstigen Wind!


ACHTE SZENE
Athene in Gestalt eines Hirtenjünglings. Odysseus

ATHENE
Teure, freudvolle Jugend,
die Betrug verabscheut,
die auch nicht verdriessen kann
was gewesen, was sein wird.
Teure, heitere Jugend!

ODYSSEUS
(abseits

Der Himmel steht dem Menschen in der Not bei!
jener Jüngling, noch grün im Alter,
in Betrügen unerfahren,
könnte meine Schwermut erleichtern,
denn kein Betrug wohnt in der Brust,
wenn noch kein Bart das Kinn bedeckt.

ATHENE
Die Jugend ist ein teurer Schatz,
der das Herz mit Freude erfüllt.
Hinkend läuft die Zeit für sie,
beflügelt umschwirrt sie Amor.
Die Jugend ist ein teurer Schatz!

ODYSSEUS
Lieblicher Hirtenjunge,
steh mir, Verlorenem,
mit Rat und Hilfe bei!
Und sag mir, o sag mir erst
den Namen dieses Strandes und dieses Hafens!

ATHENE
Ithaka heisst dieses Land im Meer,
ruhmreicher Hafen, Strand voll Glückseligkeit.
Dankbare Freude zeige dein Gesicht
beim Hören dieses Namens!
Doch du, wo kommst du her und wohin willst du?

ODYSSEUS
Ich. bin Grieche und komme aus Kreta,
der Strafe eines vollbrachten Mordes zu entfliehen.
Von den Phäaken wurde ich aufgenommen, die versprachen,
mich nach Elis zu führen;
aber vom Meer wurden wir durch listige Winde
mit Gewalt auf diesen Strand geworfen.
Unfreundlich waltet' gegen mich das Schicksal:
Als ich an Land zu Ruhe ging
und wartete, dass die Winde sich beruhigen,
da übermannte mich der Schlaf so sanft,
dass ich der grausamen Phäaken Abfahrt
nicht sah noch hörte.
So blieb ich denn mit meinen Habseligkeiten
auf dem nackten Strand, unbekannt und einsam.
Dem Schlaf, der mich verliess, folgte Verzweiflung.

ATHENE
Sehr lange hast du wahrlich geschlafen,
dass du noch von Schatten redest und Träume erzählst.
Sehr behutsam handelt Odysseus, dennoch weiser ist Athene.
Nun Odysseus, folge meinen Befehlen!

ODYSSEUS
Wer würde es glauben!
Die Gottheit in Menschengestalt!
Wer würde es glauben!
Müssen die Götter sich verstellen?
Dankbar blicke ich zu dir, o schützende Göttin!
Wohl weiss ich, dass deine Liebe
mich sicher durch die Gefahren leitet.
Getrost will ich nun deinen Rat befolgen.

ATHENE
Als Fremder getarnt wirst du sehen
der Freier, deiner Feinde
schamlosen Hochmut ...

ODYSSEUS
O glücklicher Odysseus!

ATHENE
Deiner keuschen Penelope unveränderliche Treue.

ODYSSIEUS
O glücklicher Odysseus!

ATHENE
Nun benetze dein Haupt
an der nahen Quelle.
Unerkannt wirst du bleiben
in der Gestalt eines Greises.

ODYSSEUS
Ich will deinen Befehl ausführen und wieder zu dir eilen!

ATHENE
Troja sah ich
aus Rache niederbrennen.
Nun werde ich
Odysseus zurück in seine Heimat geleiten:
Unversöhnlich ist der Zorn einer beleidigten Göttin!
Lernt, ihr törichten Sterblichen,
dem Streit der Götter fernzubleiben,
denn über Götter zu urteilen ziemt euch nicht,
und irdisch sind eure Gerichte.

ODYSSEUS
Hier bin ich, weise Göttin!
Diese Haare, die du siehst,
sind meines Alters
trügerische Zeugen.

ATHENE
Nun wollen wir dein Gut
in Sicherheit verbergen,
in jener dunklen Höhle
der Najaden, heiliger Nymphen.

ATHENE, ODYSSEUS
Nymphen, bewahrt den Schmuck, das Gold,
Kleider und Schätze, alles bewahrt,
o heilige Nymphen!


NEUNTE SZENE
Athene und Odysseus, während die Nymphen das Gut in die Höhle tragen

ATHENE
Eile zur arethusischen Quelle,
wo Eumäos, dein alter treuer Diener,
die Herden hütet. Dort harre meiner,
bis ich aus Sparta zu dir führe
Telemach, deinen Sohn.
Dann will ich dich weiter beraten.

ODYSSEUS
O glücklicher Odysseus!
Dein Schmerz entschwindet.
Lass das Weinen und löse einen Gesang
aus deinem Busen!
Nie wieder verzweifeln soll ein Sterblicher auf Erden!
O glücklicher Odysseus!
Glückvolles Los, unbeständige Leiden!
Bald Freude, bald Schmerz.
Bald Friede, bald Krieg.
Nie wieder verzweifeln soll ein Sterblicher auf Erden!


ZEHNTE SZENE
Im königlichen Palast

PENELOPE
Gebt endlich, ihr Götter,
Erfüllung meinen Wünschen!

MELANTHO
Geliebte Königin!
Klug und weise
bist du allein zu deinem Schaden.
Weniger weise solltest du sein!
Warum verschmähst du die Liebesglut
der lebenden Freier,
um Trost zu erwarten
von der Toten Asche?
Wer geniesst tut kein Unrecht den Toten.
Die Gebeine deines Gatten,
verstorben und zu Asche geworden,
wissen nichts von deinem Leiden:
Trost zu erwarten von einem Toten ist nicht klug.
Treue und Beständigkeit
sind erhabene Tugenden;
es schätzt sie ein lebender Geliebter,
nicht aber -weil der Sinne bar -
ein Mensch, der gewesen ist.
Durch dankbare Erinnerung
ehrt man,die Toten,
doch es bleiben die Lebenden
mit den Lebenden verbunden.
Ein vom inneren Kampf
gezeichnetes Gesicht missfällt den Toten,
denn die Verflossenen suchen allein den Frieden.
Es schmachtet unter der Strenge
deiner Entsagungen
die Blüte des Alters;
verwitwet leidet
deine Schönheit,
denn durch dauerndes Weinen
zeigst du eine schöne Sonne hinter einem Wasserschleier.
Liebe doch von neuem! Amors
süsse Gefährtin ist die Schönheit;
die Wonnen der Liebe
werden deinen Schmerz zerstreuen.

PENELOPE
Amor ist ein Trugbild,
Amor ist ein herumstreifender Gott,
dessen Unbeständigkeit bekannt,
dessen süsser Zeiten Mass der Blitz ist.

Ein einziger Tag kann
Freude in Schmerz umwandeln.
Oft sind die Liebesgeschichten
denen Theseus' und Jasons ähnlich:

Bestrafte Unbeständigkeit,
Qualen, Tod und Schmerz.
Des lieben Himmels Strahlen
könnten Odysseus in einen Jason verwandeln,

MELANTHO
Allein weil die Winde listig
einmal das Meer betrübt,
ollte der kühne Seemann
den Hafen nie wieder verlassen?
Nicht immer blickt vom Himmel
finster ein Stern herab,
und jeder Sturm hat ein Ende.
Liebe doch von neuem! Amors
üsse Gefährtin ist die Schönheit;
die Wonnen der Liebe
werden deinen Schmerz zerstreuen.

PENELOPE
Nie wieder lieben kann,
wer so bitter gelitten!
Es wird erneut leiden
wer erst den Fehler begangen.


ELFTE SZENE
Eumäos allein

EUMÄOS
O wie schwer kann sich ein König
gegen Unglück und übel schützen!
Eher benetzt die Träne das königliche Zepter
als des Hirten Rute.
Seide und goldene Gewänder
bergen die höchsten Qualen.
Sicherer als das reiche,
berühmte Leben
ist das arme, bescheidene.
Hügel, Auen und Wälder!
Wenn menschlicher Zustand jemals Glück zulässt,
dann ist es in euch zu finden.
Grasige Wiesen, auf euch wächst die Blume der Freude,
auf euch wird die Frucht der Freiheit gepflückt;
Erquickung für den Menschen bietet euer Laub.


ZWÖLFTE SZENE
Iros und Eumäos

IROS
Ein Viehhüter kann wohl Wiesen und Wälder preisen,
denn er ist gewohnt, mit der Herde zu reden.
Diese Kräuter, die du nennst,
sind Futter für das Vieh, und nicht für
den Menschen!
Ich selbst lebe unter Königen,
du hier mit dem Vieh
und pflegst den ganzen Tag die Freundschaft zu ihm.
Ich esse deine Gefährten, Hirt, und die Frucht deiner Arbeit!

EUMÄOS
Iros, du Vielfrass!
Iros du Allesverschlinger!
Iros: du Grossmaul!
Störe nicht meinen Frieden,
geh lieber deinen Bauch füllen!


DREIZEHNTE SZENE
Eumäos, dann Odysseus in Gestalt eines Greises

EUMÄOS
Grosszügiger Odysseus! Erhabene Taten vollbrachtest du:
Städte entvölkert und niedergebrannt!
Doch vielleicht der Himmel, im Zorn über den Fall Trojas,
forderte dein Leben als Opfer für seinen Groll.

ODYSSEUS
Wenn du des genannten Odysseus Heimkehr heute herbeigesehnt,
so empfange mich, armen, alten Mann,
denn ich bin jeglicher Hilfe bar
durch. gebrechliches Alter und harte Schicksalsprüfungen.
Dein Erbarmen sei mir letztes Geleit zum Tode.

EUMÄOS
Du wirst mein Gast sein
und sanfte Herberge geniessen:
Sind doch die Bettler
Günstlinge des Himmels, Zeus' Freunde.

ODYSSEUS
Odysseus lebt! Die Heimat wird ihn bald wiedersehen,
Penelope ihn wieder umarmen können,
denn das Schicksal war nie lieblos,
und die Zeit kann viel ändern,
glaub mir das, Hirte?

EUMÄOS
Wie gerne empfange idi dich, bettelnde Gottheit!
Mein langjähriger Kummer wird durch deine Worte gelindert.
Folge mir nun, Freund,
du sollst in Sicherheit ruhen.

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE
Telemach und Athene auf einem Wolkenwagen

TELEMACH
Fröhlicher Weg,
süsse Reise!
Der göttliche Wagen zieht vorbei,
als wäre er ein Lichtstrahl.

ATHENE, TELEMACH
Die mächtigen Götter
eilen durch die Lüfte, durchqueren die Winde!

ATHENE
Hier liegen die väterlichen Gefilde,
kluger Telemach!
Vergiss nie meine Ratschläge:
Wenn dein Geist von der rechten Bahn weicht,
gehst du Gefahren entgegen.

TELEMACH
Gefahren fürchte ich nicht,
wenn deine Umsicht mich lenkt.

ZWEITE SZENE
Eumäos, Odysseus, Telemach

EUMÄOS
O grosser Sohn des Odysseus!
Kommst du nun endlich,
deiner Mutter die Tage zu erfreuen!
O grosser Sohn des Odysseus!
Kehrst du endlich zurück,
deines bruchreifen Hauses
die gefährlichen Risse einzudämmen!
Mein Schmerz vergeht und meine Tränen enden.
Wir wollen, o Fremder,
unserer Freude Ausdruck geben durch den Gesang!

EUMÄOS, ODYSSEUS
Grüne Fluren im fröhlichen Tag,
schöne Blumen, junges Gras!
Freut euch aufs höchste:
Der Himmel lächelt dem Heimkehrenden zu.

TELEMACH
Euer freundlicher Empfang macht mich dankbar,
dennoch eines beschattet meine Freude,
und unruhig ist meine wartende Seele.

EUMÄOS
Dieser, den du hier siehst,
auf dessen müden Schultern die Last der Jahre drückt,
den zerrissene Lumpen nur unvollkommen bekleiden,
versichert mir, Odysseus' Heimkehr
sei nicht sehr weit von diesem Tage.

ODYSSEUS
Hirte, wenn das nicht zutrifft,
soll meinen müden Schritten der erste Stein zum Grabe werden,
und der Tod, der mich bereits umwirbt,
soll jetzt den letzten Tag mir bringen!

EUMÄOS, ODYSSEUS
Die süsse Hoffnung schmeichelt dem Herzen.
Die frohe Botschaft erfreut die Seele,
wenngleich sie beide die Erwartung
nicht befriedigen können.

TELEMACH
Geh nun behende, Eumäos,
zum königlichen Palast!
Geh und verkünde meine Ankunft
meiner Mutter!


DRITTE SZENE
Telemach, Odysseus
(Vorn Himmel kommt ein Feuerstrahl, die Erde spaltet sich und Odysseus wird von der Erde verschluckt

TELEMACH
Was sehe ich nur, was erblicke ich?
Diese Erde verschlingt die Lebenden!
Sie öffnet Schlünde, gierig nach menschlichem Blut,
und erduldet nicht mehr den Druck des Schrittes.
Des Menschen Fleisch schlucken die Felsen;
was für ein Zauber wird hier vollbracht?
Mein Vaterland, hast du etwa gelernt,
Menschen zu verschlingen?
So gibst du mich, Athene, der Heimat wieder?

Einer Heimat voll hämischer Tücke!
Doch schnell ist meine Zunge,
und mein Gedächtnis träge.
Dieser Bettler beschwor, um seine Lüge glaubhaft zu machen,
das Grab und rief den Tod hervor;
om gerechten Himmel bestraft,
blieb er hier begraben.
Ach, geliebter Vater! Auf seltsame Weise
kündigt mir deinen Tod der Himmel selbst!
Ach, um midi zu quälen
vollbringt die Erde soldie Wunder!
Odysseus erscheint in seiner wahren Gestalt)
Dochsieh, ein neues Wunder geschieht!
Ein Tausch des Todes mit dem Leben!
Nie wieder werde ich diese Verwandlung arg nennen,
weil sie Verjüngung geschenkt!

ODYSSEUS
Telemach, Wandle deine Verwunderung in Freude,
denn du verlierst den Bettler und gewinnst deinen Vater!

TELEMACH
Obgleidi Odysseus
himmlischem Geschlecht entstammt,
kann sich nicht verwandeln ein Sterblicher:
Selbst Odysseus vermag es nicht!
Entweder lüstet die Götter das Spiel,
oder du bist ein Zauberer!

ODYSSEUS
Odysseus bin ich: Athene kann es bezeugen,
die dich durch die Lüfte trug,
denn sie vermag meine Gestalt zu ändern nach ihrem Wunsch,
damit ich sicher und unerkannt bleibe.

TELEMACH, ODYSSEUS
O langersehnter Vater!
O heissgeliebter Sohn!
Ruhmreicher Vater!
Süsses Liebespfand!
Ich verehre dich, ich drücke dich ans Herz!
O mein geliebter Sohn!

Die Liebe zu dir bringt mich zum Weinen!
Die Liebe zu dir füllt meine Augen mit Tränen.
Der Sterbliche vertraut dem Schicksal und hofft unerschütterlich,
denn wenn der Himmel schützt,
hat Natur keine Macht;
und oft geschieht das Unmögliche!

ODYSSEUS
Eile nun zur Mutter,
zum königlichen Palast!
Bald werde ich bei dir sein,
doch erst muss ich erneut zum Greise werden.


VIERTE SZENE
Im königlichen Palast. Melantho, Eurymachos

MELANTHO
Eurymachos!
Dieses Weib hat ein steinernes Herz!
Kein Wort kann sie bewegen,
vergeblich bleibt die Bitte;
und selbst im Liebeskummer
bewahrt sie unnachgiebige Seele,
mit Treue und Stolz erfüllt.
Sie ist wie ein Fels!
Feindselig gegen die Liebe,
hat sie kein weiches Herz,
sondern ein diamantenes!

EURYMACHOS
Doch oft hörte ich die Schar der Dichter
besingen die Unbeständigkeit der leichtsinnigen Frauen!

MELANTHO
Vergebens verschwendete ich Worte und Bitten,
die Königin zu neuen Liebeswonnen zu bewegen.
Mein Bemühen ist sinnlos,
sie hasst die Liebe und das Geliebtwerden.

EURYMACHOS
Leide, wer Leiden begehrt! Schmachte, wer sich danach sehnt!
Und suche im Schatten das Heil, wer die Sonne hasst!

MELANTHO
Penelope geniesst Schmerz und Tränen,
im Kummer allein ist sie glücklich.
Während Melantho fröhlich lebt,
nährt sich jene von Leiden.
Ich vergnüge mich in der Süsse der Liebe,
die allein die Welt verschönern kann.

MELANTHO, EURYMACHOS
Wonnen undVergnügen vertreiben den Schmerz;
Wir lieben, wir geniessen, was auch die anderen sagen.


FÜNFTE SZENE
Antinoos, Anfinomos, Pisandros, Eurymachos. Penelope

ANTINOOS
Andere Königinnen
umgeben Diener wie dich Freier,
die alle deiner Schönheit
ein Meer von Tränen opfern.

ANTINOOS, PISANDROS, ANFINOMOS
So liebe doch endlich wieder!

PENELOPE
Ich will nicht lieben, denn ich kenne nur Jammer.

ANTINOOS, PISANDROS, ANFINOMOS
So liebe doch endlich wieder!

PENELOPE
Ihr seid mir alle teuer,
die ihr mich so glühend liebt:
aber ich lasse mich nicht zur Liebe bewegen,
denn schöner ist das Feuer, wenn nicht zu nah.
Ich will nicht lieben,
denn ich kenne nur Jammer

PISANDROS
Die laubreiche Weinrebe muss sich an den Baum lehnen,
will sie im Herbst tragen und blühen im Mai.
Und blüht sie nicht,
so wird sie zerstört
und mit Füssen zertreten.

ANFINOMOS
Der schönduftende Zederbaum
lebt, wenn nicht gepfropft,
ohne Frucht und dornig.
Nach der Veredelung jedoch
spriessen Blüten und Früchte aus seinen Dornen.

ANTINOOS
Der grünende Efeu, der selbst dem Winter zum Hohn,
wie ein Smaragd grünt,
verliert, ohne eine Stütze,
sein schönes Grün und verdirbt im gemeinen Gras.

ANTINOOS, PISANDROS, ANFINOMOS
So liebe doch endlich wieder!

PENELOPE
Ich will nicht mehr lieben, nein!
Wie ein Eisenstück,
das zwischen zwei Magneten nach zwei Seiten neigt
und angezogen wird,
so bleibt mein Herz im Zweifel
zwischen drei Liebenden.
Aber es kann nicht lieben
wer nichts anderes kennt
als Kummer und Leid.
Trübsal und Schmerz
sind der Liebe ärgste Feinde.

ANFINOMOS, PISANDROS, ANTINOOS
Auf zum Genuss nun, zum Tanz! Mit Gesang
wollen wir die Königin erfreuen;
ein frohes Herz verliebt sich leicht.

Ballett


SIEBENTE SZENE
Eumäos und Penelope

EUMÄOS
Als überbringer wichtiger Botschaft komme ich an:
Telemach, grosse Königin, dein Sohn, ist eben heimgekehrt!
Und vielleicht nicht leer ist die Hoffnung, die ich verkünde:
Odysseus, unser König, dein Gemahl, lebt,
und seine ersehnte Heimkehr steht bevor!

PENELOPE
Solch unsichere Botschaft
macht meinen Schmerz noch tiefer.
Wird je mein Schicksal sich ändern?


ACHTE SZENE
Antinoos, Anfinomos, Pisandros, Eurymachos

ANTINOOS
Freunde, habt ihr gehört? Die bevorstehende Todesgefahr
muss euch zu grossen, entschiedenen Taten bewegen!
Telemach kehrt heim, und vielleicht Odysseus selbst.
Dieser Palast, von euch geschändet,
erwartet von seinem Herrn
zwar späte, doch baldige Rache.
Wer zu beleidigen wagte,
wird jetzt vom Morde
nicht zurückschrecken!
Angenehm war bisher die Sünde,
nun rette das Verbrechen unser Leben!
Hoffen auf Versöhnung ist Torheit,
denn zu dreist war die Beleidigung.

ANFINOMOS, PISANDROS
Durch unser Tun und Treiben
sind wir Odysseus' Feinde geworden.
Den Feind.zu reizen
war niemals klug.

ANTINOOS
Nun rüste sich der Mut!
Noch vor Odysseus' Ankunft
müssen wir Telemach töten!

ANFINOMOS, PISANDROS, ANTINOOS
Oft zeugt die grösste Liebe
den grössten Hass:
jene verwundet die Herzen,
dieser zerstört die Reiche.
Ein Adler fliegt über das Haupt der Freier

EURYMACHOS
Der Himmel, der uns hört,
gibt uns seine Antwort!
Stumme Sprüche des Himmels sind die Zeichen.
Seht nur, seht!
Des grossen Zeus Adler
verheisst Gemetzel, kündet Verderben an!
Entscheide sich zum Mord
wer den gerechten Himmel nicht fürchtet!

ANFINOMOS, PISANDROS, ANTINOOS
Wir fürchten die Drohung des zornigen Himmels:
Wer den Himmel nicht fürchtet
verdoppelt seine Sünde.

ANTINOOS
Noch vor Ankunft des Sohnes
wollen wir, um ihr Herz zu bezwingen,
mit Geschenken um sie werben,
denn eine goldene Spitze hat Amors Pfeil!

EURYMACHOS
So sei das Gold
der Liebeszauber!
Jedes Frauenherz, und wäre es Stein,
wird bald vom Gold erweicht.

ANFINOMOS, PISANDROS, ANTINOOS
Die Liebe ist eine Harmonie,
deren Gesang Seufzer sind.
Zum guten Gesang ist das Gold die beste Begleitung;
der liebt nicht, der nicht zu schenken versteht.


NEUNTE SZENE
Im Wald. Odysseus, dann Athene

ODYSSEUS
Es kann nicht verlieren, wen derHimmel schützt,
wen ein Gott leitet.
Erhabene Taten bin ich bestimmt zu vollbringen,
doch es versündigt sich schwer
wer, vom Himmel beschützt, die Welt fürchtet.

ATHENE
Mutiger Odysseus!
Ich werde dafür sorgen,
dass deine keusche Gattin den Wettkampf einleitet,
der dir Ruhm
und sicheren Sieg,
den Freiern jedoch Tod bringen wird,
sobald der Bogen von deiner Hand gespannt.
Ein Donner wird ertönen,
und deine kühne Rechte
wird alle töten.
Ich werde dir beistehen mit dem himmlischen Blitz
und dir Mut einflössen,
bis alle gefallen, Opfer deiner Rache,
denn keinen will der Himmel verschonen!

ODYSSEUS
Immer ist der Sterbliche blind;
um so mehr muss er es sein,
wenn göttlicher Befehl ihn heisst zu handeln.
Ich folge dir, Athene!


ZEHNTE SZENE
Eumäos, Odysseus

EUMÄOS
Ich sah der verliebten Freier
die Kühnheit stocken,
den Mut schwinden in den zitternden Augen,
und furchtsam schlug ihr Herz:
Allein der Name Odysseus'
durchbohrte ihre Seelen!

ODYSSEUS
Darüber freue ich mich
und muss lachen,
ohne zu wissen warum!
Ich freue mich so sehr,
dass ich jünger werde!

EUMÄOS
Sobald wir mit karger Speise
unsere Körper gestärkt, wollen wir gehen.
Der trotzigen Freier
entsetzliche Sitten wirst du sehen
und deren unehrliches Benehmen.

ODYSSEUS
Es lebt nicht ewig der Übermut auf Erden,
der menschliche Stolz muss bald sich beugen:
Der Blitz des Himmels wirft die Mächtigsten nieder!


ELFTE SZENE
Telemach, Penelope

TELEMACH
Die Irrfahrten meiner langen Reise
erzählte ich schon, o Königin!
Nun kann ich nicht länger verschweigen
der göttergleichen Griechin betörende Schönheit.

Es empfing mich die schöne Helena;
ich erstarrte und dachte, in ihre Augen tief versunken,
ob nicht die Welt voller Paris wäre:
Für Ledas Tochter
war ein Paris allein zu geringe Beute.
Nicht hart genug wütete der Tod,
und milde brannte das Feuer;
solange für sie die ganze Welt nicht brennt, ist alles zuwenig!
In ihren schönen Augen sah ich
die ursprünglichen Funken,
die ersten Flammen des trojanischen Untergangs.
Schon früher hätte ein Prophet,
durch das Erforschen jener Augen,
Feuer und Flammen voraussagen können.
die Städte und Herzen zugrunde gerichtet.
Paris starb in der Tat,
doch überglücklidl wurde er;
mit dem Leben musste er die Schande büssen,
ein so grosses Glück jedoch bezahlt nicht ein Tod allein.
Seiner Seele sei die schwere Sünde vergeben:
Die schöne Griechin trägt in ihrem seligen Antlitz
die Rechtfertigung für Trojas Fall!

PENELOPE
Unglückbringende Schönheit! Schändliche Leidenschaft.
Den Keim des Hasses
säete nicht die Anmut des Antlitzes,
sondern die Windung einer Schlange.
Ungeheuerlich ist die Liebe, die im Blute badet!
Solch greuliche Erinnerung möge in Vergessenheit versinken.
Es irrt dein Geist, töricht ist dein Gemüt!

TELEMACH
Nicht aus Torheit nannte ich Helena!
Einmal in Sparta
flog über mein Haupt
ein Vogel, fröhlich zwitschernd;
da verkündete mir Helena,
die verständige Meisterin
im Deuten der Zeichen,
die bevorstehende Heimkehr Odysseus'.
Er würde die Freier töten
und wieder herrschen in seinem Reich!


ZWÖLFTE SZENE
Antinoos, Eumäos, Iros, Odysseus

ANTINOOS
Immer gemein, Eumäos, immer trachtest du danach,
unseren Frieden zu stören, unsere Freude zu trüben,
du Überbringer des Verdrusses!
Warum hast du diesen widerlichen Bettler hierhergeführt,
einen unleidlichen Greis,
der mit seiner Fresslust
den frohen Geist des Festes vertreiben wird!

EUMÄOS
Fortuna hat ihn hierher geleitet,
zu Odysseus' Palästen, Stätte der Barmherzigkeit.

ANTINOOS
Er soll bei dir bleiben und die Herden hüten,
und nicht hier erscheinen,
wo edle Leute herrschen und gebieten.

EUMÄOS
Edelleute sind nicht grausam,
noch kann eine grosse Seele Grossmut schmähen,
die Königen in der Wiege liegt.

ANTINOOS
Vermessener! Erhabene Gefühle zu nennen
ziemt dir, gemeinem Menschen, nicht;
mit Königen darf nicht reden eine grobe Zunge!
Und du, unwürdiger Bettler,
verlasse dieses Reich!

IROS
Verschwinde von diesem Ort!
Bist du hier, deinen Bauch zu sättigen,
so bin ich vor dir da.

ODYSSEUS
O Mann von Übergrösse,
und dick und breit,
ein Greis bin ich zwar,
doch feig ist nicht mein Herz!
Wenn mir soviel gewährt die königliche Hoheit,
werde ich deinen plumpen Körper unter meinen Fuss zerren,
du scheussliches Viehstück!

IROS
Idi werde dir, verblödeter Krieger,
lästiger Alter,
die Barthaare einzeln ausreissen!

ODYSSEUS
Ich will mein Leben verlieren,
wenn ich in Kraft und Tapferkeit
dir nicht überlegen bin, du Strohsack!

ANTINOOS
Wir bewundern hier, Königin, in diesem Paar
einen grotesk ausgetragenen Zweikampf.

TELEMACH
Ich, gewähre dir freies Geleit,
unbekannter Fremdling.

IROS
Auch ich gewähre es dir,
bärtiger Kämpfer!

ODYSSEUS
Die Herausforderung nehme ich an, beleibter Edelmann!

IROS
beginnt zu kämpfen
Wohlan nun!
Es beginne der Kampf!
Sie kämpfen
Ich bin besiegt, ich Elender!

ANTINOOS
Sieger, verschone den du besiegt!
Iros, du bist ein gewaltiger Fresser,
aber kein tapferer Kämpfer!

PENELOPE
O tapferer Bettler!
Bleib am Hof
in Ehre und Sicherheit.
Feige ist nicht immer ein Mann,
den arme, zerlumpte Kleider bedecken.

ANFINOMOS
Erhabene Königin!
Anfinomos verneigt sich vor dir.
Was grosszügiges Los mir schenkte,
gebe ich dir, zu deinem neuen Glück.
Diese königliche Krone, Symbol der Herrschaft
überreiche ich dir als Pfand für all meine Geschenke.
Nach dem Opfer meines Herzens
besitze ich kein grössers Gut!

PENELOPE
Grosszügige Seele, freigiebiger Edelmann!
Wohl verdienst du ein Reich,
nicht weniger steht dem zu, der ein Reich schenkt!

PISANDROS
Bist du endlich geneigt,
ein Reich. als Geschenk zu empfangen,
so kann auch ich schenken,
denn auch ich bin König.
Diese prachtvollen Gewänder,
dieser königliche Schmuck
bezeugen dir
meine Verehrung!

PENELOPE
Ein edler Streit, ein ehrlicher Wettkampf entsteht,
wo unaufdringliche Verehrer
die Kunst der wahren Liebe im Schenken lernen.

ANTINOOS
Mein Herz, das dich verehrt,
will dich nicht Königin nennen;
meine Seele, zu deinen Füssen liegend,
will dich als Göttin anbeten.
Dir opfere ich mein Seufzen
und mein Verlangen.
Dieses Gold biete ich dir
als Pfand meiner Anbetung.

PENELOPE
Nicht ohne Preis werden
eure erhabenen Taten bleiben,
denn wenn ein Weib sich schenkt,
wird sie von der Liebe erfüllt;
ein Weib, das stets umworben,
ergibt sich schliesslich den Angriffen des Liebenden.
Also beeile dich, Melantho, und trage hierher
Bogen und Köcher des starken Odysseus.
Und wer unter euch
am leichtesten den mächtigen Bogen
spannen wird,
dem gehört Odysseus' Frau und Reich!

TELEMACH
Odysseus, was zauderst du?
warum verhinderst du nicht deinen Verlust
und löst nicht meinen Kummer?

PENELOPE
Was mein Mund leichtsinnig versprochen,
ist nicht der Wille meines Herzens!
Götter des Himmels! Wenn ich versprach,
löstet ihr die Zunge, gabt ihr die Stimme:
Durch meinen Mund sprach
der Sterne, des Himmels Wille!

ANFINOMOS, ANTINOOS, PISANDROS
Lieblicher, süsser Ruhm,
ersehnter Sieg!
Der Liebenden Tränen
und das beständige Herz
wandeln Schmerz in Freude!

PENELOPE
Dies ist Odysseus' Bogen,
zugleich die Waffe der Liebe,
die mein Herz erobern soll!
Anfinomos, dir reiche ich ihn:
Weil du als erster geschenkt,
sollst du als erster versuchen.

ANFINOMOS
Amor, der Schütze, der mich traf,
verleihe jetzt mir Kraft,
dass ich im Sieg rufen kann:
Ein Pfeil verletzte mich,
ein Bogen heilte meine Wunden!
Er versucht, den Bogen zu spannen, was ihm nicht gelingt
Mein Arm ist diesem Bogen nicht gewachsen,
mein Handgelenk versagt,
meine besiegten Kräfte weichen:
Mein Unvermögen dämpft in mir das Verlangen.

PISANDROS
Amor, Gott in Kindergestalt,
weiss nicht, dass er die Sterblichen
mit seinen Pfeilen trifft,
denn seine Geschosse
sind nur Blicke.
Einem solchen Gott
verweigern Gehorsam Mars' Waffen.
Du jedoch, Kriegsgott, bereite meinen Sieg:
Durch dich will ich ihn erringen!
Er versucht es ohne Erfolg
Wie unbeugsam, wie unbezähmbar
ist dieser Bogen!
Der gefühlskalte Busen
wird für mich streng
und unnahbar bleiben.

ANTINOOS
Weiche Mars, weiche Amor
der Schönheit!
Wer im Kampf nicht siegt, erwirbt keine Ehre!
O Penelope, im Namen
deiner Schönheit tue ich den Versuch,
da Tapferkeit und Kraft versagten.
Er versucht es ohne Erfolg
Ein Zauber vielleicht
verhindert meinen Sieg!
Ach, wahr ist es wohl, dass alles
Odysseus Treue bewahrt,
und selbst sein Bogen
erwartet ihn!

PENELOPE
Leere, dünkelhafte Vorzüge
sind königliche Titel,
nicht tapfer ist das Blut, Ruhm der Könige;
es genügt nicht, ruhmreiche Zepter in der Hand zu halten!
Wer Odysseus' Tapferkeit
nicht erreicht,
der ist seiner Besitztümer
unwürdiger Erbe.

ODYSSEUS
Die stolze Jugend
ist nicht immer tapfer,
und das bescheidene Alter
nicht immer feige.
O Königin! Mein Körper
birgt eine kühne Seele,
die mich zum Versuch drängt.
Ich will aber das Mass nicht überschreiten
und verzichte auf den Preis:
Ich verlange nur die Mühe des Versuchs!

PENELOPE
Es sei dem Bettler
die kühne Probe gewährt!
Ruhmreicher Kampf gegen junge Männerkraft,
der Arm eines Greises
wird die Gesichter zum Erröten bringen.

ODYSSEUS
Diese meine Rechte
bewaffnet sich in deinem Namen, o Himmel!
Bereitet meinen Sieg, ihr höchsten Götter,
wenn euch beliebt sind meine Opfert

PISANDROS, ANFINOMOS, ANTINOOS
O Wunder, unglaubliches Wunder!
Unmögliches geschieht!

ODYSSEUS
Zeus mit seinem Donner schreit Rache!
Und der Bogen schleudert die Pfeile!
Athene ermuntert und demütigt, wen sie will!
Und der Bogen schnellt die tödlichen Geschosse!
Tod, Gemetzel, Verderben!

DRITTER AKT

ERSTE SZENE
Iros allein

IROS
Es ist schmerzhaft, es verletzt die Seele
die grausame Erinnerung an das Gemetzel!
Ich sah die Freier ermordet:
lle wurden sie getötet.
ch, mit ihnen verlor ich den Genuss für Bauch und Gaumen.
er hilft mir Hungrigem, wer tröstet mich
mit einem linden Wort?
Die Freier, Iros, hast du verloren,
die Freier, deine Väter.
Vergiesse doch, soviel du kannst
bittere Tränen der Trauer,
denn Vater ist nur, wer dich speist und kleidet.

Wer wird nun deines Hungers
Wünsche erfüllen?
Nie wirst du jemand finden,
dem es gefällt,
deinen gefrässigen Wanst zu füllen.
Nie wirst du jemand finden,
der über die Leistung deines Bauches sich ergötzt!
Wer hilft dem Hungrigen, wer tröstet mich?
Unglückseliger Tag, gegen mich gerichtet:
Kurz vorher bezwang mich ein kühner Greis,
nun werde ich vom Hunger geplagt, da die Nahrung mir fehlt.
Immer kannte ich den Hunger als einen Feind,
ich hatte ihn besiegt!
Zu arg wäre es jetzt, ihn als Sieger über mich zu dulden.
Ich will mich selber töten und nicht zulassen,
dass er mich zugrunde richtet.
Was man dem Feind vorwegnimmt, ist schon ein Stück Sieg!
Mein mutiges Herz,
bemeistere den Schmerz!
Bevor mein Körper durch Hunger verdirbt,
will ich in die gähnende Gruft hinabsteigen!


DRITTE SZENE
Palast. Melantho und Penelope

MELANTHO
Welches neue Waffengeklirr!
Welches unfassbare Verderben!
Welche tragische Liebe!
Wer war der Schänder, der mit neuem Krieg es wagte,
den Frieden deiner Augen zu trüben,
und niederzureissen
die Amor geweihten Tempe
in jenen glühenden Herzen?

PENELOPE
Begehrte Witwe, verwitwete Königin!
Neue Tränen stehen mir bevor.
Dem Unglücklichen
bringt alles Unglück!

MELANTHO
Selbst im Schatten der Zepter
ist das Leben unsicher! In der Nähe der Kronen
werden frevelhafte Hände
sogar noch kühner!

PENELOPE
Die Freier starben, und die von ihnen beschworenen Sterne
sahen dem Gemetzel unbeweglich zu!

MELANTHO
Penelope!
Die Strafe des unsterblichen Himmels
muss in dir Zorn und Empörung auslösen,
denn die schändliche Tat
verdient eine fürchterliche Rache!

PENELOPE
Zwar empfinden die Augen Erbarmen
und vergiessen Tränen,
aber mein Herz
zum Zorn und Schmerz zu zwingen
ist mir nicht möglich.


VIERTE SZENE
Eumäos betritt den Saal

EUMÄOS
Die Macht eines verborgenen Gefühls
versüsse dein Herz!
Der mit einem einzigen Bogen
Hunderten den Tod bereitete,
der tapfere Schütze,
der den Bogen spannte und die Pfeile schnellte,
der die niederträchtigen Freier
im Kampf vernichtete,
o Königin, freue dich,
der war Odysseus!

PENELOPE
Du bist ein guter Hirte, Eumäos,
und überzeugt glaubst du
gegen das, was du siehst!

EUMÄOS
Der alte Mann, der Greis,
der zerlumpte Bettler,
der gegen die hochmütigen Freier
den tödlichen Kampf aufnahm,
o Königin, freue dich,
der war Odysseus!

PENELOPE
Alles glaubt das gemeine Volk,
doch dumm und trügerisch
ist das Gerücht.

EUMÄOS
Odysseus sah ich wirklich!
Odysseus lebt und ist hier!

PENELOPE
Trügerische Botschaft
eines unerwünschten Trösters!

EUMÄOS
Ich sage, Odysseus ist hier!
Ich selbst sah ihn und weiss es.
Glaub doch endlich an mein Wort:
Odysseus lebt und ist hier!

PENELOPE
Ich streite nicht mit dir,
denn du bist töricht und blind!


FÜNFTE SZENE
Telemach betritt den Saal

TELEMACH
Eumäos ist nicht von Sinnen,
was er verkündet, ist lautere Wahrheit:
Odysseus, dein Gemahl, mein Vater,
hat alle Feinde vertilgt.
Seine veränderte Gestalt,
die eines zerlumpten Greises,
war Athenes Kunst und ihr Geschenk.

PENELOPE
Zu oft, wahrhaftig, müssen die Menschen
als Spiel der Götter dienen.
Glaubst du, was du sagst, so bist du ihr Spielzeug.

TELEMACH
Es ist der Wille Athenes,
dass die falsche Erscheinung
Odysseus' Feinde täusche.

PENELOPE
Wenn die Götter es lieben, jemand zu täuschen,
wer kann mich glauben machen,
dass ich nicht Opfer einer Täuschung bin,
da ich schon zu lange gelitten?

TELEMACH
Der Griechen Beschützerin
ist, wie du weisst, Athene;
und am meisten Odysseus
geniesst ihre Zuneigung.

PENELOPE
Keinen Gedanken
opfern die Götter
den irdischen Ereignissen,
sie lassen das Feuer brennen
und das Wasser gefrieren.
Ihre Fügungen verursachen Freude oder Schmerz.

TELEMACH
Lege getrost das Trauergewand ab!

EUMÄOS
Deine Qualen sind zu Ende!


SECHSTE SZENE
Über dem Meer
Athene, Hera.

ATHENE
Wie eine Flamme brennt der Zorn, grosse Göttin,
und Feuer ist der Hass.
In Hass und Zorn liessen wir
Troja zerstören.
Von einem Troer wurden wir beleidigt, jedoch
gerächt!
Nun kämpft der Stärkste unter den Griechen
noch mit seinem Schicksal:
der leidensschwere Odysseus.

HERA
Für die willkommene Rache ist kein Preis zu hoch. Mag das trojanische Reich in Staub vergangen sein!

ATHENE
Um uns zu rächen, musste Odysseus die Irrfahrt antreten: Das von uns gewollte Unglück ist seiner Leiden Ursprung. Es ziemt uns Göttern, den Rächer zu retten und den Groll des Meeresgottes zu besänftigen.

HERA
Frieden und Ruhe will ich für Odysseus erflehen.

ATHENE
Für dich, des höchsten Zeus Schwester und Gemahlin, stehen alle Himmelstüren offen.


SIEBENTE SZENE
Der Ozean. Hera, Zeus, Poseidon, Athene und Chor

HERA
Grosser Zeus, Vater der Götter, Gott des Geistes,
Geist des Universums,
der du alles lenkst und alles bist!
Neig deine Gnade meinen Bitten!
Odysseus irrte zu lang,
zuviel hat er gelitten,
schcnk seinem Herzen endlich Frieden!
Durch göttlichen Befehl verliess er seine Heimat
und irrte lange Jahre.

ZEUS
Nie wird die Bitte, die du, Hera,
an mich richtest, unerfüllt bleiben.
Doch erst ziemt sich,
den zürnenden Poseidon zu besänftigen.
Hör mich an, Gott der Meere!
Hier, wo das Schicksal geschrieben wird,
wurde der Niedergang Trojas vorausbestimmt.
Nun ist der Schicksalsgeprüfte ans Ziel gekommen.
Zeig deine Grossmut!
Ein Opfer des Schicksals war Odysseus;
gelitten, gekämpft, gesiegt
hat der Götterähnliche,
und während Troja zu Asche ward,
umschmeichelte der Tod auch ihn.
Friede, Poseidon!
Verzeih dem Sterblichen die Schuld, die auf ihm lastet.
Das Schicksal selbst ist ihm heute freundlich gesinnt.
Nicht der Mensch ist schuld, wenn der Himmel donnert.

POSEIDON
Wohl sind diese Fluten kühl
und eiskalt,
aber es durchdringt sie die Wärme deiner Liebe.
in den algenreichen Abgründen,
an allen Meeresenden
ist Zeus' Ratschluss bereits bekannt.
Gegen die vermessenen Phäaken
entlud sich mein Groll,
für das greuliche Verbrechen
musste das Schiff erstarren.
Glücklich und sicher
lebe Odysseus!

CHOR IM HIMMEL UND IN DEN FLUTEN
Zeus, der Liebevolle,
durchdringt den Himmel
mit seiner Barmherzigkeit.
Trotz seiner Kälte,
nicht minder liebevoll als der Himmel
ist das Meer.
Bete, o Sterblicher, bete,
denn ein beleidigter Gott
lässt sich durch Gebete besänftigen,

ZEUS
Athene! Nun sei deine Sorge,
den Aufstand der Archaier zu zerstreuen
die als Rache für der Freier Ermordung,
gedenken zu bekriegen
das Land der Ithaker.

ATHENE
Die erzürnten Gemüter werde ich beruhigen,
das Entfachen der Rache verhindern,
den Frieden erzwingen,
Zeus, wie du befohlen.


ACHTE SZENE
Euryklea allein

EURYKLEA
Euryklea, was wirst du tun?
Wirst du schweigen oder reden?
Redest du, so bringst du Trost,
aber Schweigen ist deine Pflicht.
Dem Gehorsam und zugleich
der Liebe verpflichtet,
wirst du schweigen oder nicht?
Doch weiche dem Gehorsam die Liebe:
Man darf nicht alles sagen, was man weiss.

Sinfonia

EURYKLEA
Dem Leidenden helfen ist eine Freude,
doch Unrecht und Schande
ein Geheimnis zu enthüllen!
Besser ist, das Schweigen zu hüten.
Bitter ist es,
den Leidenden mit einem Wort
trösten zu können
und es nicht tun;
aber von der Reue
ist das Schweigen weit entfernter
als die Rede.

Ritornello

EURYKLEA
Ein verschwiegenes Geheimnis
kann leicht enthüllt werden;
danach jedoch
kann man es nicht mehr verschweigen.
Euryklea, wirst du schweigen?
Ein strenges Schweigen wurde nie getadelt.

Ritornello

NEUNTE SZENE
Penelope, Telemach, Eumäos

PENELOPE
All unsere Gedanken
verweht der Wind!
Unsere Träume können
die Unruhe der hilflosen Seele
nicht bannen.
Die Märchen erfreuen,
sie können aber kein Leben retten.

EUMÄOS, TELEMACH
Zu ungläubig!
Zu ungläubig!
Zu hartnäckig!
Zu hartnäckig!
Es ist die Wahrheit,
dass der alte Schütze Odysseus war!
Eben kommt er
in seiner wahren Gestalt.
Odysseus ist er,
er ist hier!


ZEHNTE SZENE
Odysseus betritt den Saal

ODYSSEUS
Oh, meiner Leiden
süsses, liebliches Ziel!
Ersehnter Liebeshafen
in dir will ich ruhen!

PENELOPE
Hemme deine Schritte, Krieger!
Heuchler oder Zauberer!
Von deinen verwirrenden Verwandlungskünste
lasse ich mich nicht betören!

ODYSSEUS
Willst du auf diese Weise
deines Gemahls langersehnte
Umarmung empfangen?

PENELOPE
Die Gattin bin ich des verlorenen Odysseus.
Kein Zauber
wird meine Treue jemals erschüttern!

ODYSSEUS
Um deiner Augen willen
legte ich einst die Unsterblichkeit ab
und tauschte freiwillig meinen Zustand und mein Los.
Um dir Treu zu bewahren, bin ich sterblich geworden.

PENELOPE
Der Macht, die dir
Odysseus' Gestalt gab,
verdanke ich den Tod
der niederträchtigen Freier.
Sei dies die süsse Frucht
deiner Lüge.

ODYSSEUS
Odysseus bin ich,
Rest von Asche und Tod,
der Treulosen und Dieben
scharfer Richter und nicht ihr Gleichgesinnter.

PENELOPE
Du bist nicht der erste Heuchler,
der es mit falschem Namen versucht,
Herrscher im Reich zu werden.

EURYKLEA
Es ist Zeit zu reden!
Das ist Odysseus, o keusches Weib!
Ich erkannte ihn,
als er nackt zum Bade kam.
Da entdeckte ich des wilden Ebers
verursachte Narbe.
Ich flehe um Vergebung, dass ich nicht gesprochen!
Meine gesprächige Weiberzunge
schwieg, auf Befehl Odysseus',
mit grosser Überwindung.

PENELOPE
Ans Glück zu glauben
lehrte mich Amor,
aber Treue zu bewahren
befiehlt meine Ehre.
Zweifelnder Geist, was wirst du tun?
Den Worten und Bitten
des guten Hirten
Eumäos und meines Sohnes Telemach
schenkte ich keinen Glauben,
denn mein keusches Bett
teilte ich nur mit Odysseus!

ODYSSEUS
Deine keuschen Gedanken sind mir bekannt
Ich weiss, dass das eheliche Bett,
das ausser Odysseus
niemand kennt,
jede Nacht von dir geschmückt wird
mit einer von deinen Händen
gewebten Decke,
deren Muster Diana in Begleitung
ihres jungfräulichen Chors darstellt.
Stets begleitete mich
diese süsse Erinnerung.

PENELOPE
Endlich erkenne ich dich wieder!
Endlich kann ich dir glauben,
der du mein Herz
stets besessen!
Verzeih mir meine Strenge:
Die Liebe allein war die Ursache meiner Zweifel.

ODYSSEUS
Löse die Zunge, o löse
aus Freude die Knoten!
Einen Seufzer, ein Ach löse deine Stimme!

PENELOPE
Strahlet, o Himmel
Ergrünt, ihr Wiesen!
Erfreue dich, Luft!
Die zwitschernden Vögel,
die murmelnden Bäche
mögen sich freuen!
Das grünende Gras,
die plätschernden Wellen
mögen sich trösten!
Glücklich aus der trojanischen Asche
ist mein Phönix auferstanden!

PENELOPE, ODYSSEUS
Meine erseufzte Sonne!
Mein erneutes Licht!
Hafen meiner süssen Ruhe!
Ersehnter Geliebter,
durch dich lerne ich
die erlitten'en Qualen segnen!
Keine Erinnerung mehr
an das Leid!
O mein Leben!
Der Brust entfliehe
die schmerzhaften Gefühle.
O mein Herz!
Alles ist Freude!
O mein Herz!
Der Tag der Freude, des Genusses
ist endlich gekommen!
O mein Herz!