Libretto: Boris Godunow

von Modest Mussorgski


Personen:
BORIS GODUNOFF (Bass)
FEODOR (Mezzosopran), und
XENIA (Sopran), seine Kinder
Xenias AMME (Tiefer Mezzosopran)
Fürst Wassilij Iwanowitsch SCHUISKJI (Tenor)
Andrej SCHTSCHELKALOFF, Geheimschreiber (Bariton)
PIMEN, Chronikschreiber, Mönch (Bass)
GRIGORJI OTREPIEFF, später Dimitrij, der falsche Demetrius genannt (Tenor)
MARINA Mnischek, Tochter des Wojewoden von Sandomir (Mezzosopran oder dramatischer Sopran)
RANGONI, geheimer Jesuit (Bass)
WARLAAM (Bass), und
MISSAIL (Tenor), entlaufene Mönche
Eine SCHENKWIRTIN (Mezzosopran)
Ein BLÖDSINNIGER (Tenor)
NIKITITSCH, Vogt (Bass)
Ein LEIBBOJAR (Tenor)
Bojar CHRUSCHTSCHOFF (Tenor)
LOWITZKJI (Bass) und
TSCHERNJAKOWSJI (Bass), Jesuiten

CHOR
Einzelstimmen aus dem Volk (Bauern und Weiber) - Bass (Mitjucha), Tenor, Mezzosopran und Sopran.
Bojaren, Bojarenkinder, Strelitzen, Wachen, Hauptleute,
Magnaten, polnische Damen, Mädchen aus Sandomir, wandernde Pilger, Volk.



PROLOG

ERSTES BILD
Hof des Jungfrauenklosters bei Moskau. Den Zuschauern näher befindet sich in der Klostermauer ein mit einem Türmchen versehenes Tor. Volksszene

Das Volk drängt sich faul und lässig herum. Der Vogt tritt auf

DER VOGT
zum Volk
Was soll das? Steht herum wie stumme Götzen!
Nieder, auf die Kniee! ...
Droht mit dem Knüttel
Hört ihr! Wird's bald?
Was für eine Teufelsbrut!

DAS VOLK
auf den Knien
Sieh uns hier zu deinen Füssen, o Vater!
Ach, lass uns endlich dich als Zaren grüssen, o Teurer!
Wir sind ganz verwaist und hilflos, arm und schutzlos!
Ach, wir bitten dich, erbarm dich unsrer heissen Tränen,
Unsrer Tränen: Gnade! Gnade!
Rette uns, Väterchen! O Vater!
Der Vogt geht ab
Sei uns Führer! Sei uns Hüter, Gnade!

Das Volk bleibt auf den Knien liegen

STIMMEN AUS DEM CHOR
Mitjuch, hör, Mitjuch, was klagen wir?

ERSTER BAUER (MITJUCH)
Woher soll wissen ich's?

STIMMEN AUS DEM CHOR
Ein Zar soll fürs Reich gewählet werden.

ERSTES BAUERNWEIB
Zum Teufel auch! Ganz heiser bin ich vom Schreien.
Hört, Nachbarin, gebt mir ein Schlückchen Wasser!

ZWEITES BAUERNWEIB
Schau doch, schau mir die Prinzessin!

CHOR
Hast mitgebrüllt,
Kannst drum auch selbst dir Wasser holen!

ZWEITER BAUER
Hört doch, Weiber, auf zu schwatzen!

DIE FRAUEN
Hast gar nichts zu befehlen, hast gar nicht hier zu schalten!

ERSTER BAUER
Alte Hexen, nicht getobet!

DIE FRAUEN
Ach, du Galgenstrick, verdammter!
Wirst du wohl dein Maulwerk halten!
Seht den händelsücht'gen Alten!
Himmel, Herrgott, was für Lümmel!

DIE MÄNNER
Seht, es scheint der Kosename schmeichelt nicht
Den Ohren und versetzt die Frau'n in Wut und Ärger,
Ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha!

DIE FRAUEN
erheben sich
Liebe Frauen, besser wär's, in Frieden fortzugehn
Und allem Streit und Unglück auszuweichen!

ANDRE FRAUEN
Zeit ist's fortzugehen und allem Streit und Unglück auszuweichen!

DIE MÄNNER
Reisefertig sind die Hexen!
Ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha.

Der Vogt tritt auf, die Weiber sinken auf die Knie, das Volk verharrt unbeweglich

DER VOGT
zum Volk
Was heisst das? Stumm seid ihr? Die Kehlen müde?
Nun, wird's bald?
Droht mit der Knute
Oder sehnt sich euer Rücken nach der Knute?
Dringt auf das Volk ein
Werd' euch lehren zu gehorchen!

DIE FRAUEN
Zürne nicht, Nikititsch! Alter, sei nicht böse!

DIE MÄNNER
Lass uns, Väterchen, ein wenig nur verschnaufen!

STIMMEN AUS DEM CHOR
Lässt uns keine Ruh, der Schinder!

DER VOGT
Vorwärts! Los, die Kehlen nicht geschont!

DAS VOLK
Gut schon ...

DER VOGT
Nun?

DAS VOLK
aus vollem Halse
Sieh uns hier zu deinen Füssen, o Vater!
Ach, lass uns endlich dich als Zaren grüssen, o Teurer!
Ach, wir bitten dich, erbarm dich unsrer heissen Tränen:
O erbarme dich! Gnade! Vater, erbarme dich!
Nach erneuertem Drohen des Vogtes
O, Vater erbarme dich, erbarme dich!
Ah, ah, ah, ah, ah!

DER VOGT
Schtschelkaloff erblickend, winkt dem Volke
Schweigt jetzt! steht auf! Hört, was man euch jetzt sagt!

Die Menge erhebt sich
SCHTSCHELKALOFF
tritt vor das Volk, entblösst sein Haupt und grüsst
Bürger Moskaus: Boris ist unerbittlich!
Der Hilferuf des Patriarchen und der Bojaren
Bleibt vergeblich! Boris weist die Krone zurück.
O weh unsrem Land und weh allen Bürgern rechten Glaubens!
Bang harrt das Reich, schutz- und rechtlos,
O, flehet zu Gott, dem Allmächtigen:
Er möge senden Trost dem bekümmerten Russland
Auf dass sein Licht erleuchten möge
Des Boris bekümmert Herz!

Die Bühne wird vom rötlichen Licht der untergehenden Sonne erleuchtet. Man vernimmt den Gesang der Pilger

CHOR DER PILGER
Lob, Ehr' und Preis sei dir, allmächtiger Schöpfer,
Und deinen himmlischen, ew'gen Mächten
Und euch, Russlands Schutzheil'gen! Preist sie! Lob und Preis!
Sei gepriesen, Allmächtiger! Preist ihn!
Das Volk flüstert einander zu: "Gottesmänner!"
Und Gottes Engel also sprach: Steigt herauf, ihr Wetterwolken,
Steigt herauf! Brauset daher über Russland!
Die Pilger, sich auf die Schultern ihrer Führer stützend, betreten die Bühne
Breitet aus euch am Himmelszelt,
Hüllet ein das heil'ge Russland!
Tritt entzwei den Drachen,
Der wild uns dräut mit abertausend giftigen Krallen,
Jenen Drachen, der da heisset: Aufruhr und Gottlosigkeit!
Kündet es der gläub'gen Christenheit, ihr zum ew'gen Heil!
Amulette unter das Volk verteilend
Leget festliche Gewänder an, hebet hoch die Heiligenbilder,
Zieht mit dem Bilde des Wladimir unserem Zaren entgegen!
Sie treten ins Kloster. Der Gesang erstirbt allmählich
Lobet und preiset Gott und seine himmlische Barmherzigkeit!
Lob sei und Dank dem Schöpfer der Welt!
Preis sei dem ew'gen Herrn!

Der Vorhang fällt langsam

ZWEITES BILD
Platz im Moskauer Kreml. Den Zuschauern gegenüber, im Hintergrunde der Bühne-die rote Freitreppe des Zarenpalastes. Rechts, näher zum Vordergrunde, zwischen der Uspenski- und Archangelskikathedrale-das Volk, auf den Knien liegend. Die Treppenstufen der Kathedralen sind sichtbar

Grosses Glockengeläute auf der Bühne. Die Bojaren ziehen in feierlicher Prozession zur Kathedrale

FÜRST SCHUJSKIJ
auf den Stufen des Portals der Uspenskikathedrale
Lang lebe der Zar Boris Feodorowitsch!

DAS VOLK
Gepriesen seist du, unser Väterchen!

FÜRST SCHUJSKIJ
Heil ihm!

DAS VOLK
Heil der Sonne, der strahlend hellen am Himmel, Heil! Heil!
Heil dem Zaren, lobet ihn, den Herrscher Russlands, Heil ihm!

Feierlicher Zug des Zaren aus der Kathedrale. Polizisten stellen das Volk in Reih und Glied

DAS VOLK
Es lebe der Zar! Unserm Väterchen
Langes Leben, und Heil dir, Väterchen Zar!
Heil dir, Zar, unser Väterchen! Heil, dir, Väterchen!
Heil dir, Zar!
Sei gegrüsst, o Zar, sei gepriesen!
Heil dem Zaren, dem mächtigen Herrscher Russlands!
Heil dem Zaren, Heil dem lieben Zaren!
Jauchzet laut, frohlocket! Jauchzet, jubelt laut, frohlocket!
Jauchzet, freut euch, all ihr Gläub'gen! Freut euch, all ihr Gläub'gen!
Preiset alle unsern Zaren Boris!

Verneigt sich

DIE BOJAREN
auf den Treppenstufen
Lang' lebe der Zar Boris Feodorowitsch!

DAS VOLK
Dem Zaren Heil!

DIE BOJAREN
Lang' lebe der Zar Boris Feodorowitsch!

DAS VOLK
Heil dir, Heil dir, Heil dir!
Heil der Sonne, der strahlend hellen am Himmel,
Heil dir! Heil dir, Väterchen Zar, Heil dir, Zar!

DIE BOJAREN
Lang' lebe der Zar Boris Feodorowitsch!
Boris erscheint und schreitet über die Bühne
Dem Zaren Heil!
Heil der Sonne, der strahlend hellen am Himmel; Heil!
Preiset unsern Herrn, den Herrscher Russlands!
Preis und Heil sei dir, Zar! Heil dir!
Heil dir, Heil dir, Heil dir!

BORIS
Wie bang ist mir! Wie seltsam angstbeklommen,
Als ahnt' es künft'ges Unheil, krampft mein Herz sich ein.
O höre mich, o mein erhabner Vater!
In Himmelshöh'n sieh gnädig meine Tränen
Und deinen Vatersegen sende mir herab
Für meine Herrschaft, dass ich gerecht und gnadenreich wie du,
Ein Vater werde meinem Volk!
Nun lasst uns knieen im Gebet
Vor den entschlafnen Herrschern Russlands.
Doch dann zum Feste kommt herbei,
Kommt alle her, vom Bettler bis zum Fürsten!
Heut' sind sie all', all' meine lieben Gäste!

Glockengeläut auf der Bühne. Der Zug bewegt sich weiter zur Archangelskathedrale

DAS VOLK
Heil dir, Heil dir, Heil dir!
Gepriesen seist du, unser Väterchen!
Das Volk drängt sich zur Archangelskikathedrale; die Wachen bemühen sich, Ordnung zu schaffen
Unserm Zaren Heil! Heil und Preis sei dir, Zar!
Heil und Preis dir, Zar! Preis sei dir, Zar! Heil dir, Zar!

DIE BOJAREN
Lang' lebe der Zar Boris Feodorowitsch!

DAS VOLK
Heil der Sonne, der strahlend hellen am Himmel,
Heil dem Zaren, Heil dem Herrscher Russlands!
Heil und Preis, mög' er lange regieren!

Getümmel. Die Polizei ringt mit der Volksmenge

Heil ihm! Heil! Heil, Heil!
Heil dem Zaren! Heil dir!

Boris tritt aus der Archangelskikathedrale und schreitet zum Zarenpalast

Heil dir, Heil dem Zaren!

ERSTER AUFZUG

ERSTES BILD
Nacht. Eine Zelle im Kloster Tschudoff (Wunderkloster). Pimen schreibt beim Schein einer Lampe. Grigorij schläft

PIMEN
im Schreiben innehaltend
Noch eine Kunde, die letzte bleibt zu melden,
Und dann ist meine Chronik abgeschlossen.
Dann ist vollbracht das Werk, das Gott mir Sünder anbefohlen.
's war nicht umsonst, dass Gott zum Zeugen vieler Jahre mich erkoren.
Vielleicht wird einst ein ems'ger Mönch hier finden
Dies Werk, das ich im Stillen hier geschaffen,
Und wird vielleicht wie ich beim Schein der Lampe,
Vom Pergament den Staub des Alters streifend,
Dies Spiegelbild der Zeiten treu kopieren.
Erfahren werden so die jungen Enkel,
Was in der Heimat einst sich abgespielt.
Dem Alter leiht die Arbeit neue Kraft.
Vergangnes zieht vor meinem Geist vorüber
Und steigt vor mir wie Meereswogen auf!
Einst hat dies Meer gerauscht ereignisvoll,
Doch jetzt ist's still und ruhig und schweigsam
Es graut der Morgen schon ... die Lampe will verlöschen ...

schreibt weiter

Noch eine Kunde, die letzte bleibt zu melden.

CHOR DER MÖNCHE
Höre unser Flehen, barmherz'ger ew'ger Gott!
Vor der Lüge Trug bewahre
Deiner Söhne schwachen Geist!
Herr unser Gott!

GRIGORIJ
erwachend
O dieser Traum! Zum dritten Mal derselbe Traum!
Unentrinnbar! Verfluchter Traum!
Doch der Alte sitzt und schreibet, und kein Schlummer
Hat wohl auch diese Nacht sein Aug' erquickt.
O, wie vertraut ist mir dies friedlich' Bild,
Wenn in vergangne Zeit so ganz versunken,
In heil'ger frommer Sammlung er schreibt an seinem Werk.

PIMENN
Schon wach bist du?

GRIGORIJ
Gib deinen Segen mir, ehrwürd'ger Vater!

PIMEN
Nimm Gottes Segen, lieber Sohn, und jetzt und
immer allezeit!

CHOR DER MÖNCHE
Gott, allmächt'ger Gott, Herrgott, verlass uns nicht!

GRIGORIJ
Du bliebest wach! Kein Schlaf hat dich erquicket!
Und meine Ruh verstörten sünd'ge Träume,
Sie peinigten, verwirrten mein Gemüt. Mir träumte:
Eine steile Treppe führt' hoch auf einen Turm mich.
Unter mir, tief unten sah ich Moskau. Und wie die Ameisen,
So drängte das Volk und wogte rings umher
Und wies auf mich mit höhnischem Gelächter.
Es krampfte sich mein Herz in Scham und Schrecken,
Ich stürze jäh herab ... doch da erwacht ich! ...

PIMEN
Das ist der Jugend Blut. Kasteie dich mit Fasten und Gebet,
Und heitre Bilder wirst im Traum fortan du schauen.
Auch mir selbst kommt es vor, dass, wenn mich nachts der Schlummer überwältigt
Und ich versäumt, vorher vor Gott zu beten,
Dass böse Träume dann den Schlaf mir rauben.
Dann seh ich mich bei wildem Festgelag, und Kampfgetöse hör ich;
Und Lüste fühl' ich toller Jugendzeit ...

GRIGORIJ
Wie fröhlich hast verbracht du deine Jugend!
Hast bei Kasan im Kampfe dich getummelt,
Den trotz'gen Feind mit starker Faust verjagt!
Iwans des Schrecklichen Zarenpracht geschauet!
Doch ich ... von Kindheit an zieh' ich aus einer Klosterzelle in die andre.
Warum darf ich nicht mit hinaus zum Kampf?
Am Zarenhof nicht schwingen meinen Becher?

PIMEN
O murre nicht, dass weltlich Treiben dir verschlossen.
Glaube mir, die Welt scheint herrlich nur von weitem,
Und Liebe bringt dem Herzen Gram und Leid.
O denk, mein Sohn, an all die Herrscher Russlands!
Wer ist gross wie sie? Und dennoch ... O wie oft, wie oft schon
Hat sich's ereignet, dass sie vertauschten ihren Purpur,
Die Krone selbst, die güldne, mit eines Mönches här'ner Kutte,
Und erst in stiller Klosterzelle fanden Frieden.
Hier, hier, in dieser Zelle, hier lebte einst Kyrill,
Der edle Dulder, ein Heiliger. Hier sah den Zaren ich.
Versonnen, still, Iwan sass hier, der Schreckliche,
Und leise, leise, tönte seine Rede, und aus den finstern, harten Augen
Ergossen sich die Reuetränen die Wang' herab!

Einige Augenblicke in Gedanken

Sein Sohn, der Zar Feodor ... er hatte seine Schlösser
In stille Klosterzellen umgewandelt!
Gott sah des Zaren Demut gnädig an
Und segnete das Land und gab ihm Frieden.
Doch hör, mein Sohn: In seiner Todesstunde
Geschah ein seltsam, unerhörtes Wunder!
Die Säle ein süsser Wohlgeruch durchströmte,
Und sonnengleich erstrahlte sein Gesicht ...
Ja, einen solchen Zaren gibt's nicht mehr!
Gott zürnet unsern Sünden, unserm Frevel,
Da Russland nun zum Herrscher sich einen Mörder auserkor!

GRIGORIJ
Schon lang, ehrwürd'ger Vater, schau lange fragen wollt' ich dich:
Wie alt war der Zarewitsch, der ermordete?

PIMEN
Er wär' so alt wie du jetzt und Zar nun.
Doch Gott beschloss es anders. Die Freveltat,
Die Boris begangen, sei der Schluss der Chronik, die ich schreibe.
Hör, Grigorij, in Wissenschaft geklärt hast du den Geist,
Drum nimm mein Werk und setz es fort, ich lass es dir zurück,
Beschreibe treulich alles, dessen einst du Zeuge sein wirst:
Sei's Krieg, sei's Frieden, der künft'gen Zaren Herrschaft,
Prophetenspruch und Vorzeichen des Himmels,
Für mich ist's Zeit, der Ruhe nun zu pflegen ...
steht auf und löscht die Lampe aus. Dem Glockengeläute lauschend
Man ruft zur Morgenandacht. Schenk deinen Segen uns,
Allmächt'ger Gott! Die Krücke gib, Grigorij!

CHOR DER MÖNCHE
hinter der Bühne
Herrgott, sei uns gnädig,
O steh uns bei, lieber Gott!
Gott, unser Allerhalter, ew'ger und gerechter erbarme dich!

GRIGORIJ.
begleitet Pimenn und bleibt nach seinem Weggange an der Tür stehen
Boris, Boris! Noch beugt vor dir sich Alles, und niemand wagt's,
Dich zu erinnern ans bittre Los des unglücksel'gen Kindes.
Doch steht es hier in diesen stummen Blättern,
Und deine Untat wird dir nie vergessen:
Dich wird auf Erden schon Vergeltung treffen,
Dein Ende naht und Gottes Strafgericht.

Der Vorhang fällt

ZWEITES BILD
Eine Schenke an der litauischen Grenze. Links Tür und Fenster. Ein andres Fenster in der Mitte

Lied der Schenkwirtin

SCHENKWIRTIN
Hab' gefangen ich einen Enterich,
O du mein Entelein.
Willst du nicht mein eigen sein?
Setz dich, Enterich, grauer Enterich,
Auf den Teich am Ufersaum
Unterm grünen Weidenbaum.
Rege, Entelein, deine Flügelein,
Schwing auf dich, frisch und frei,
Fliege dann zu mir herbei!
Werde kosen dich, heiss und inniglich,
Liebes, graues Entelein,
Sei mein trautes Schätzelein!
Setz dich her zu mir, nah, ganz nahe hier,
Schmiege dich an meine Brust,
Küsse mich voll süsser Lust!

Lachen und Lärm hinter der Bühne

Was ist das? Wer kommt denn da? Liebe, werte Gäste!
Hallo! Kommt doch! Es scheint, sie gehn vorüber ...

Singt weiter

Komm und küsse mich
Heiss und inniglich!
O du mein Enterich,
Lieber, grauer Enterich!
Komm und tröste mich und
Lass uns lustig sein,
Komm zum lust'gen Witwelein!

MISSAIL UND WARLAAM
hinter der Tür
Mitchristen, Brüder! Spendet doch ein Scherflein,
Spendet doch um Jesu willen für ein neues Gotteshaus!
Gott wird's vieltausend mal vergelten!

WIRTIN.
Ach Gott, steh mir bei! Ehrwürd'ge Mönche! Törichte Närrin ich!
Konnt' so vergessen mich! O ich Sünderin!
Ja, fürwahr, sie sind's! Ehrwürd'ge Pilger!

Warlaam und Missail treten herein; ihnen folgt der falsche Dmitrij Demetrius unter dem Namen Grigorij

WARLAAM
Friede, Weib, Friede sei mit dir!

WIRTIN
Womit kann ich dienen euch, ehrwürd'ge Mönche?

MISSAIL
Was Gott dir gab, du gute Frau!

WARLAAM
stösst Missail heimlich an
Gibt's hier auch Wein?

WIRTIN
Freilich, liebe Väterchen! Sofort bring ich ihn!

Geht ab

WARLAAM
beobachtet Grigorij
Sag, was stimmt so traurig dich, Gefährte?
Hier ist die Grenze von Litauen,
Just die Grenze, nach der es so mächtig dich hinzog.

GRIGORIJ
Erst dann, wenn drüben ich bin, dann erst fühl ich mich sicher.

WARLAAM
Doch was zieht dich nach Litauen so?
Wir zwei hier, MissaÔl und ich armer Sünder,
Seitdem wir beid' aus dem Kloster floh'n,
Einerlei, wo wir wandern,
's ist Jacke wie Hose, Russland oder Litau'n,
Uns ist es gleich, wenn es nur Wein gibt!
Da kommt er ja schon!

WIRTIN
Hier bring ich Wein euch, Väter, trinkt und wohl bekomm's euch!

WARLAAM UND MISSAIL
Wir danken dir, schöne Frau Wirtin; dass dir's Gott vergelt'!

Giesst ein; sie trinken

Warlaams Lied

WARLAAM
eine Flasche in der Hand haltend
Hört, was einst in der Stadt Kasan geschehen!
Zar Iwan der Schreckliche sass beim Mahl.
Die Tataren schlug er grimmig, dass die Lust zur Rückkehr
Ihnen verging, ein für allemal.
Nachts ganz heimlich kam der Zar nun vor die Tore Kasans.
Einen Minengang liess graben unterm Fluss er hindurch.
Die Tataren, die stolzierten in den Strassen umher,
Schauten von den Wällen auf den Zaren und sein Heer.
Wart, Tatarenvolk!
Und der Zorn dem schrecklichen Zaren schwillt,
Seine finsteren Augen sprühten Blitze jäh und wild,
Rief dann seine Kanonier' herbei
Mit den Lunten, mit den brennenden.
Und die Wachslunten fingen schon zu rauchen an,
Und man schleppt' ein grosses Pulverfass heran,
Legt' den Zunder an das Spundloch, setzt' den Faden dann in Brand,
Hei! rollte da das Fass den Minengang entlang,
Wie das knallt' und sprang!
Hei! wie flogen die Tataren lustig in die Höh'!
Flogen auf und schrieen Ach und Weh!
Und eh' sich der Pulverdampf verzogen hatt',
Lagen vierzigtausend Leichen in der Stadt
Und noch drei dazu!
Dies geschah in Kasan, dem schönen Städtchen, Hei!
zu Grigorij
Sag, warum denn singst du nicht mit?
Und du sitz'st so trübselig da!

GRIGORIJ
Weil ich will.

MISSAIL
Des Menschen Wille ...

WARLAAM
Des Trunknen, sag, ist sein Himmelreich!
zu Missail
Lass uns trinken aufs Wohl der Wirtin!
zu Grigorij
Doch hör, mein Freund:
Die Nüchternen, die Mucker, lieb' ich nicht!
Wer den Wein nicht liebet, ist kein froh Geselle;
rinkst du fröhlich mit, bist unser Freund du,
Sonst hol' dich der Teufel, dann fort mit dir!

GRIGORIJ
Trink, kein Mensch verwehrt es dir ja, doch trink mit Verstand!

WARLAAM
Mit Verstand? Was heisst das?
Sag, wie macht man denn das, he?
Setzt sich an den Tisch, lallend
War mal ein Mann,
ein guter Mann,
Ein herzensguter Mann ...
Trank er ein Glas,
So fiel er ins Gras,
Grad auf seine Nas'.

GRIGORIJ
zu Wirtin tretend und aus dem Fenster zeigend
Frau Wirtin, sag, wohin führt diese Strasse?

WIRTIN
G'rad ins Litauische.

GRIGORIJ
Ist es weit noch bis dahin?

WIRTIN
Nein, mein Lieber, 's ist nicht weit mehr.
Heute noch könntest du dort sein,
Wenn nicht wär'n die Häscher.

GRIGORIJ
Wie? Die Häscher?

WIRTIN
's ist wer aus Moskau entfloh'n, und jedermann,
Der des Weges zieht, wird streng ausgefragt.

GRIGORIJ
Ha! Heil'ger Georg, nun ist's aus mit mir!

WARLAAM
Sass mal ein Mann,
Dachte und sann,
Trinkt, was er trinken kann

Nickt ein

GRIGORIJ
Weisst du, wen sie suchen?

WIRTIN
Wird ein Dieb sein, weiss ich's? Die Gegend umher
Wimmelt von Häschern schon, die überall nun schnüffeln.

GRIGORIJ
nachdenklich
So! ...

WIRTIN
Doch ihn fangen sie nicht! Nimmermehr! Den Teufel kriegen sie!
Als gäb's keinen andern Weg als nur die Heerstrass'!
Sieh, ich zeig dir's:
Hier gleich links im Walde, der schmale Fusssteig
Führt hinauf zur Tschekanschen Kapelle, den Bach entlang,
Und dann weiter nach Chlopino, von dort nach Saizewo,
Und dort nun zeigt jedes Kind dir, wie zur Grenze man gelanget.
Seitdem die Häscher hier, gibt's keine Ruh' mehr.
Tag und Nacht sie schnüffeln und stehlen wie die Raben.

WARLAAM
gähnt und reckt sich
Einst kam der Mann,
Zum Wirtshaus 'ran,
Klopft an die Türe an:
Tock, tock, tock ...

Man hört Klopfen

WIRTIN
Wer kommt da noch?
Geht zum Fenster und schaut hinaus
Wieder die verfluchten Kerls! Die Häscher sind es schon wieder!

Herein tritt eine Streifwache und beobachtet, an der Tür stehen bleibend, die Anwesenden

WARLAAM
War mal ein Mann,
Ein guter Mann,
Ein herzensguter ...

HAUPTMANN DER STREIFWACHE
tritt von hinten auf Warlaam zu
Halt, wer seid Ihr?

WARLAAM UND MISSAIL
weinerlich und demütig
Wandernde Mönche, zieh'n ehrbar unsre Strasse,
Wandern durch die Dörfer und sammeln milde Gaben ein.

HAUPTMANN
auf Grigorij weisend
Und der da, wer ist's?

WARLAAM UND MISSAIL
Unser Gefährte.

GRIGORIJ
nachlässig
Ein friedlicher Bürger bin ich ...
Hab' die Mönche begleitet hierher
sich verneigend
Und kehre nun heimwärts.

HAUPTMANN
Scheint nichts zu haben, der Wicht,
Nicht lohnt die Beute. Vielleicht die Mönche ... Hm!
räuspert sich und tritt zum Tisch
Hört mal, Mönchelein, habt wohl viel schon erbettelt heut'?

WARLAAM
Ach, wenig, Lieber, wenig! Geizig ist das Volk geworden;
Sparet lieber, gibt fast gar nichts! Denkt ans Seelenheil nicht!
O, gross sind die Sünden, nur den Gaunern geht's gut noch!
Wandern muss man, bitten, betteln,
Bis man einen lump'gen Kupfergroschen kriegt.
Kümmerlich geht's uns, und täglich flehn wir zu Gott,
Dass er bald aus diesem Jammertal uns erlös'!

WIRTIN
Lieber Gott, erbarm dich unser gnädig!

WARLAAM.
von dem Häscher aufmerksam betrachtet
Warum siehst du mich so aufmerksam an?

HAUPTMANN
sich zu einem seiner Kameraden wendend
Du, hör mal, Alexis, hast den Haftbefehl?
Gib her ihn schnell!
Nimmt den Haftbefehl, zu Warlaam
Siehst du:
's ist aus Moskau entflohn der bekannte Ketzer
Grischka Otrepieff. Kennst du die Geschichte?

WARLAAM
Nein, gar nicht!

HAUPTMANN
Nun! Der Zar hat nun befohlen,
Dass man den Flüchtling ergreife und hänge.
Gehört hast du es sicher!

WARLAAM
Nein, mein Sohn.

HAUPTMANN
Kannst du lesen?

WARLAAM
Nein, mein Sohn, Gott hat's mich nicht gelehrt.

HAUPTMANN
Hier nimm den Haftbefehl!

WARLAAM
Was soll's damit?

HAUPTMANN
Hör mal: dieser Ketzer, abtrünn'ge Mönch, das bist du!

WARLAAM
Nanu! Da hört doch alles auf!

WIRTIN
Nicht mal den armen alten Mönch lässt man in Ruhe!

HAUPTMANN
He! Wer kann lesen hier?

GRIGORIJ
vortretend
Gib her, ich kann's.

HAUPTMANN
Gut denn! Lies du vor, laut jedoch!

GRIGORIJ
liest
Hiermit wird es kundgetan, dass der abtrünn'ge Mönch Grigorij,
Ein Spross der Otrepieffs, wollt' durch arge Teufelskünst' verwirren
Des Klosters fromme Brüderschaft und verführen sie
Durch gottloses lästerlich Tun,
Doch entfloh der Ketzer zur Litau'schen Grenze.
Der Zar gab Befehl, ihn zu fangen ...

HAUPTMANN
und zu hängen!

GRIGORIJ
zum Hauptmann
Davon steht hier nichts geschrieben.

HAUPTMANN
Schweig!
Es steht doch deutlich zwischen den Zeilen. Lies so:
“Einzufangen und zu hängen".

GRIGORIJ
"und zu hängen".
liest weiter
Sein Alter ist ...
Warlaam ansehend
zur Zeit ...
Nah an die ... fünfzig Jahr', trägt 'nen grauen Bart ...
Sein Bauch ist dick und rund, rote Nase ...

HAUPTMANN
Das ist er ja! He! greift den Ketzer!

Die Häscher werfen sich auf Warlaam, doch dieser stösst sie von sich

WARLAAM
Weg da!
Die Fäuste geballt, in herausfordernder Stellung
Verdammte freche Häscherbrut! Was wollt ihr denn?
Ich soll sein der Grischka?
Hört mal, treibt nicht Spässe mit mir!
Das Schriftstück les' ich selber, ob's Lesen mir auch schwer fällt,
Doch les' ich's schon, 's wird schon gehn,
Wenn' wirklich an den Kragen mir gehn soll!
mühsam buchstabierend
Sein Al ... Alter zur Zeit ... nah an die zwanzig ...
Zwanzig steht hier ja! Siehst du?
Sein Wuchs ist ... sein Wuchs ist mittelgross,
Fuchsrotes Haar ... eine ... eine Warze hat er auf der Nase.
Und eine auf der Stirn ...
Ein Arm ist kürzer als der andre ...
Schaut Grigorij prüfend an, sich an Grigorij heranschleichend
Am Ende bist du's! ...

Grigorij zückt ein Messer und springt aus dem Fenster

ALLE
stürzen zum Fenster
Er ist's! er ist es! haltet ihn!
Rennen zur Tür
Er ist es! Ihm nach!

Laufen hinaus mit dem Rufe
"Haltet den Dieb".

Vorhang

ZWEITER AUFZUG

Inneres eines prunkvoll ausgestatteten Zarengemachs im Moskauer Kreml. Xenia weint vor dem Bilde ihres verstorbenen Bräutigams. Der Zarewitsch vor dem "Buch der grossen Pläne" (Atlas); die Amme ist mit einer Handarbeit beschäftigt

XENIA
Wo weilst du, Teurer? Wo bist du, Geliebter?
In der feuchten Erde, fern vom Heimatlande
Liegst einsam, verlassen, im kühlen Grabe,
Du hörst nicht mein Klagen, siehst nicht meine Tränen,
Ach, die ich vergiesse, allein und verlassen!

AMME
Genug, Xenia, mein Täubchen, o weine nicht!
All dein Jammer bringt ihn nicht wieder.

XENIA
Ach, Amme, das Herz bricht mir, ach wehe!

AMME
Ruhig, ruhig, Xenia! Tränen sind wie junger Morgentau,
Kommt die Sonne, so küsst sie ihn fort sogleich.
Denk doch, wie gross die Welt ist: ein andrer Freiersmann,
Schön und liebenswert, findet bald sich für dich.
Wirst bald vergessen deinen toten Bräutigam!

XENIA
Ach nein, nein, nimmermehr!
Nein, ist tot er auch, bleib ich doch stets ihm treu.

AMME
Sieh doch, hast ihn kaum gesehn und vergehst in Gram!
Eine Maid sich grämt' in Liebesschmerz,
Hatt' geschenkt einem Burschen ihr junges Herz.
Kam der Bursch nicht mehr zu ihr ins Haus,
War's auch mit der heissen Liebe aus.
Ach mein Täubchen, so ist auch dein Kummer,
Hör lieber zu, was für ein Liedchen ich dir sing'!

Das Lied von der Mücke

Mück' und Wanze lebten beid'
In Frieden und in Einigkeit.
Mücklein trug Holz herbei,
Wänzlein kocht' den Morgenbrei.
Heupferd kam gesprengt, o weh!
Auf des Popen Wiesenklee,
Hüpft' ins Heu und streut's umher,
Dass der Fluss es trug ins Meer.
Tat's der Mücke weh
Um den schönen Klee,
Nahm ein Holzscheit, um am frechen
Heupferd grimmig sich zu rächen.
Doch das Holzscheit flog zurück,
Traf nicht 's Heupferd - traf die Mück',
Und der Schlag, der ging daneben,
Kostete ihr selbst das Leben.
Ihr zu Hilfe mit Geschrei
Eilt' die Wanze da herbei,
Schleppte eine Schaufel schwer
Zu der Unglücksstelle her,
Wollt' der Mücke stehen bei,
Brach sich selbst den Hals entzwei!
Legt' sich hin, o grosse Not,
Und befahl die Seele Gott!

FEODOR
Ei, Amme, was für ein hübsches Liedchen!
Nur schade, dass gar so traurig ist der Schluss.

AMME
Lieber Zarewitsch, weisst vielleicht ein bessres, ein lust'geres?
Ich hör' dir zu geduldig, denn nicht umsonst, mein Kind,
Hat Zar Iwan uns gelehrt, Geduld zu üben! Sing nun!

FEODOR
Hei, Amme, ich wette, du wirst selbst mein Liedchen mitsingen!

Das "Klatschhändchenspiel"

FEODOR
Sag, ob dir mein Märlein gefällt:
Wie's Hühnchen bracht' 'nen Ochsen zur Welt,
Und wie's Schweinchen hat ein Ei gelegt.
Willst du's nicht glauben, zahlst du einen Taler.

Steht auf, stellt sich der Amme gegenüber und klatscht im Laufe des Liedes mit den Händen, je einen Schlag auf den Takt

Kikriki, mein Hähnchen du,
Machst beim Krähn die Augen zu.
Sag, wo kommst du Hähnchen her?
Komme g'radweg übers Meer,
Wächst dort eine Eich',
Grün sind die Blätter;
Auf der Eiche sitzt ein Käuzchen,
Bei Wind und Wetter.

Die Amme klatscht in die Hände, je einen Schlag auf den Takt

FEODOR UND AMME
Kratzt sich hinterm Ohr,
Singt ein Liedchen vor:
Ping, ping, Glöckchen kling,
Mit dem Kranze komm zum Tanze.


Die Amme springt auf; ein Schlag auf einen Takt

Pank, pank, bin so krank,
Bin gefallen von der Bank.
Schritt vor Schritt,
Komm nur mit!

FEODOR
hört auf zu klatschen
Pastors Frau hat heute Nacht
Einen Spatz zur Welt gebracht.
's war ein richtiger
Und gewichtiger,
Reibt sich die Äugelein,
Wetzet sein Schnäbelein.
Flog der Spatz fort vom Ast
G'rad zum Käuzchen hin zu Gast,
Flüstert ihm Wunderding' in's Ohr mit Hast.

AMME
Flüstert ihm Wunderding' ins Ohr mit Hast.
Feodor und die Amme nähern sich allmählich
Wurden einst Erbsen beim Küster gedroschen,
Die Dreschflegel brachen entzwei in der Scheune,
Die Scheune verbrannte,
Hell schlug der Flamme Schein
Dem Küster in das Fenster hinein.

Zar Boris tritt durch die Tür im Hintergrund ein und bleibt dort unbemerkt stehen

AMME UND FEODOR
je zwei Schläge auf den Takt
Hei wie erschrak er,
Kroch schnell untern Zuber,
Klemmt ein sich die Ohren,

FEODOR
Hatte ganz den Kopf verloren!
Doch die Küstersfrau
War nicht dumm, war gar schlau,
Tischte Braten auf und Wein,
Lud viel feine Gäste ein.

FEODOR UND AMME
Küster Lukas ass 'nen ganzen Ochsen auf,
Hundert Ferkel drauf,
Blieben nur die Schwänzchen nach.

FEODOR
schlägt die Amme auf die Schulter
Klatsch, Klatsch!

AMME
Boris erblickend, knixt erschrocken tief zu Boden
Herrgott!

BORIS
Was gibt's? Als ob ein Wolf die Henne aufgescheucht!

AMME
Gnädiger Zar, vergib mir!
Vor Alter bin ich schwach und dumm geworden!

BORIS
Nun, Xenia, du? Sag, mein armes Täubchen,
Als Mädchen, kaum verlobt, bist du schon Witwe!
Weinst immer noch dem Bräutigam du nach?

XENIA
O Vater Zar! Nicht sollen dich betrüben meine Tränen!
Wie ist mein Mädchenleid, wie ist es klein doch,
Vergleich ich's deinen Sorgen!

BORIS
Mein Töchterlein, mein liebes Täubchen!
Bei deinen Freundinnen vergiss den bittren Kummer,
Zerstreue dich mit frohem Spiele! Nun geh, mein Kind

Xenia und Amme ab. Boris sieht Xenia mit zärtlichem Blicke nach

Und du, mein Sohn, was lernst du da? Was ist das?

FEODOR
Die Karte unsres Reiches. Unser Russland
Von Meer zu Meer. Sieh, Vater: das ist Moskau,
Hier Nowgorod ... und da Kasan, Astrachan,
Dies Meer hier heisst das Kaspische,
Und hier ziehn sich die Permschen Wälder hin,
Und hier Sibirien ...

BORIS
Wie ist das schön, mein Sohn! Mit einem Blick,
Gleichsam vom Himmel kannst du das ganze Reich überschauen.
Die Grenzen, Flüsse, Städte. Lerne, Sohn:
Einst kommt die Zeit, vielleicht schon kommt sie bald,
Da dir, dir dieses Riesenreich gehört. Drum lerne, Sohn!

Rezitativ und Arie

Die höchste Macht ist mein!
Das sechste Jahr schon herrsche ich in Frieden,
Doch nie kehrt Ruh in mein gequältes Herz zurück.
Wohl sagen mir die Magier voraus
Ein langes, glücklich' Leben und Regieren.
Doch ach, umsonst: nicht Ruhm und Macht noch Ehre,
Das Beifallgeschrei der Menge, nichts freut mich mehr,
Im Heim ist mir kein ruhig Glück beschieden:
Schon wollt' ich rüsten meinem Kind das Hochzeitsmahl,
Der lieben Tochter, dem reinen Täubchen,
Da reisst der Tod den Eidam mir hinweg.
Die Hand des ew'gen Richters lastet schwer;
Er zürnet meiner schuldbeladnen Seele
Ringsum umhüllt mich grausiges Dunkel,
Und nirgends winkt ein Strahl der Hoffnung!
Und Trübsal schleicht ins Herz mir,
In Kummer und Angst die Seele schmachtet,
Ein heimlich Zittern fühl' ich, die Angst verfolgt mich,
Ich hofft', mit heissen Gebeten zu lindern
Die brennenden Qualen des Gewissens.
Was hilft aller Glanz und die Macht mir, unermesslich?
Ich, Russlands Herrscher, ich fleht' um Trost,
Um Tränen milden Mittleids.
Statt dessen List und Tücke hier,
Da droht Verrat und dort ein offner Aufruhr!
Hunger, Pest und schreckliche Verwüstung!
Wie ein wildes Tier schleicht das Volk,
Das verseuchte, verhungerte ... Armes Volk! Armes Land!
Für all das Elend, das Gott uns gesendet
Als Sühne für meine Frevel,
Für Alles klagt das Volk mich an, für alles wird der Zar
Von allen verflucht!
Es flieht der Schlummer mich, im nächt'gen Dunkel
Steht auf vor mir das blut'ge, tote Kind!
Flammenden Blickes ringt es die Händchen,
Fleht um Erbarmen ... doch gab es kein Erbarmen!
Fürchterlich gähnt seine Wunde, schrill tönt sein Todesschrei
Ins Ohr mir ... Barmherziger, gnädiger Gott!
Ha, was hör' ich?

CHOR DER AMMEN
hinter der Bühne
Au kusch! Au kusch, kusch, au, au!

BORIS
zum Sohne, zornig
Sieh nach, was dort geschehen!

Feodor geht hinaus; man hört draussen Geschrei und Geheul

CHOR DER AMMEN
hinter der Bühne
Au, kusch, kusch!

BORIS
Ach, welch Geheul!
Der Leibbojar tritt auf
Was willst du?

CHOR DER AMMEN
hinter der Bühne
Kusch! Au! fort mit dir! Kusch, Kusch!

BORIS
Rede doch!

LEIBBOJAR
Erlaubt, mein Herr und Zar!
Vergebt, Fürst Wassilij Schujskij harrt draussen.

BORIS
Schujskij? So ruf ihn! Sag ihm,
Dass ich ihn gern empfange und seiner Botschaft harre.

LEIBBOJAR
Tritt näher und flüstert Boris ins Ohr
Heut' Nacht gab uns Puschkins Knecht geheime Nachricht,
Dass Schujskij und noch andere Bojaren
Bei Puschkin heimlich sich nachts versammeln
Und geheime Rede führen,
Aus Krakau sei ein Bote eilig angelangt.

Ab
BORIS
Man nehm' ihn fest! Aha! dacht ich's doch!
Feodor tritt ein
Was gibt's?

FEODOR
Habe nachgesehen, Vater Gossudar, fürchte,
Dass du zürnen wirst, so nichtig ist die Botschaft.

BORIS
Nein, nein, mein Kind, sag mir nur, was geschehen.

Liebkost ihn

FEODOR
sich an Boris' Kniee lehnend
Sass unser Papagei in der Kinderstube,
Schwatzte in einem fort lustig mit den Mägden,
Schmeichelte ihnen, bat das Köpfchen ihm zu kraulen,
Ging die Reih' entlang von einer zu der andern.
Amme Nastasja, die tat ihm nicht den Willen;
Papchen geriet in Wut, nannt' sie dumme Närrin.
Dafür zur Strafe gab zornig sie ihm Schläge,
Papchen hub an zu schrein, sträubte sein Gefieder.
Um zu besänft'gen ihn, holte schnell man Leckereien,
Ammen und Mägde all begonnen ihm zu schmeicheln
Doch nein, es kam ganz anders.
Trotzig sass Papchen da mit gesenktem Schnabel,
Schaut nicht die Mägde an, brummt und murmelt böse.
Plötzlich da springt er auf und wirft sich auf Nastasja,
Haut mit dem Schnabel scharf, dass sie auf die Diele hinschlägt,
Gross war der Ammen Schreck, rannten durcheinander,
Kreischend sucht jede Rettung schnell vor den Schnabelhieben,
Doch half das nichts, eine jede kriegt' ihr Teil doch! -
Das, Vater Gossudar, war jenes Lärmens Anlass,
Dies hat deinen Zarengeist wohl gestört beim Denken.
Hab' nun alles dir, Zar, berichtet.

BORIS
Mein Kind, mein liebes Herzenssöhnchen!
Wie doch so kunstvoll und launig hast du mir Bericht gegeben.
Wie einfach, natürlich, verstandst du zu schildern
Ein solch harmlos Ereignis. Das ist die Frucht des Lernens!
Flügel verleiht es dem denkenden Geiste.
O könnt' ich dich noch sehn auf meinem Zarenthrone,
Als hoch erhabnen Herrscher Russlands.
O, mit welcher Wonne, auf Macht und Ruhm verzichtend,
Um diese Seligkeit hingeben würd' ich den Herrscherstab.

SCHUJSKIJ
tritt ein
Grossmächt'ger Herr und Zar, ich grüss' dich.

BORIS
Ha! Du Redner, hochberühmt,
Du Rädelsführer hirnverbrannter Menge,
Du Oberhaupt rebellischer Bojaren,
Du, des Zarenthrones ärgster Feind,
Feiger Schuft, dreifach meineidiger Schurke,
Schlauer Heuchler du, Speichellecker, Verräter,
Der Gift in Hostien mischt! Betrüger, Schuft!

SCHUJSKIJ
Zar, hör an mich:
Ich bringe wicht'ge Nachricht dir und deinem Reich.

BORIS
Wohl jene, die man dir und Puschkin sandte aus Krakau
Gestern abend von der geächteten Bojarenbande?

SCHUJSKIJ
Ja, Herr und Zar! Aus Polen droht ein Usurpator,
Der König, der Papst, der Adel ist für ihn!

BORIS
sich erhebend, unruhig
Wie benennt er sich, der Hund, der diesen Aufruhr stiftet?
Wessen Namen hat der Schuft gestohlen? Wie heisst er?

SCHUJSKIJ
ausweichend
Sei ruhig, Zar, dein Reich ist stark und mächtig,
Durch Gnade hast du und durch mildes Wohltun
Dir jedes Herz in Liebe zugewandt, und fest und treu
Schart alles sich um deinen Thron.
Obgleich es schmerzlich ist für mich, erhabner Zar,
Und ob in Sorge meine Seele sich verzehrt,
Doch darf ich dies dir nicht verschweigen.
Was soll geschehn, wenn jener Strolch in frevler Kühnheit
Die Grenze Litauens morgen überschreitet?
Und möglich, dass sein Name alles lockt,
Der Name des Dimitrij wirkt wie Zauber!

BORIS
Dimitrij!
zu Feodor
Entferne dich, mein Sohn!

FEODOR.
O gnäd'ger Zar, gestatte mir bei dir zu bleiben,
Dass ich erfahr', welch Unheil deinem Zarenreiche droht.

BORIS
Nein, nein, verlass uns, Kind.
Zarewitsch, Zarewitsch, sei gehorsam!
Feodor ab. Boris folgt seinem Sohne, schliesst hinter ihm die Tür und tritt dann rasch zu Schujskij
Und du, befiehl, dass man sperre die Grenze nach Litauen,
Dass keiner, hörst du, keiner diese Grenze überschreit'!
Nun geh! ... Nein, bleib hier, Schujskij!
Hast jemals du gehört,
Dass ermordete Kindlein aus Gräbern auferstehen?
Um Zaren zu verhören, um sie zu foltern?
Die Zaren, die vom Volke gewählt
Und die der Patriarch gekrönet?
Ha, ha, ha, ha, ha, ha!
Fasst Schujskij am Kragen
Du lachst? Wie? Lachst du nicht? He?

SCHUJSKIJ
Behüte, mein Herr und Gossudar!

BORIS
Höre, Fürst:
Als sie geschah, die graus'ge Freveltat in Uglitsch,
Als hilflos dort das arme Kind ermordet ward,
O sage mir ... war's wirklich ... war's ... Dimitrij?

SCHUJSKIJ
Ja!

BORIS
Wassilij Iwanitsch!
Im Namen des Allmächt'gen, ich beschwör' dich,
Sag alles mir, sprich, die Wahrheit sage mir!
Du weisst, ich kann auch gnädig sein, doch wisse, wenn du lügst,
Ich schwöre dir! ersinn ich eine Strafe dir,
So fürchterlich, dass Zar Iwan im Grabe selbst
Vor Grausen würd' erbeben! Gib Antwort mir!

SCHUJSKIJ
Der Tod schreckt mich nicht, mich schreckt nur deine Ungnad'.
Es war im Dom zu Uglitsch. Vor allem Volke
Sah ich fünf Tage lang den Leichnam jenes Kindes.
Rings um ihn her noch dreizehn andre lagen,
Verstümmelt fürchterlich, in blut'gen, schmutz'gen Fetzen,
Und es war an allen schon zu spüren die Verwesung.
Doch das Gesicht des kleinen Dmitrij war rein und wie verklärt,
Doch fürchterlich klaffend gähnte die Tosdeswunde.
Auf seinem reinen Engelsantlitz
Spielte ein wundersames Lächeln,
Es schien, als ob das Kind in seinem Bettchen schlummre süss,
Gekreuzt die Händchen, und in der Rechten festgekrampft hielt's
Ein Spielzeug noch ...

BORIS
Nicht weiter!
Gibt Schujskij ein Zeichen sich zu entfernen. Schujskij geht, sich nach Boris umschauend. Boris sinkt in einen Lehnsessel
Huh! Ich erstick'! Der Atem geht mir aus ...
Ich fühlte, wie das Blut mir siedend stieg zum Kopf
Und wieder kehrt' zum Herzen.
O böses Gewissen, wie entsetzlich schwer doch strafst du!
Die Bühne verdunkelt sich. Uhr mit Glockenspiel
Es genügt, ich fühl's, ein Fleck, ein einziger,
Und wenn auch nur durch Zufall er entstanden,
Dann brennt die Seel', dann ist das Herz vergiftet
Und todesbang erzittert's, wie Hammerschlag
Dröhnt dann ins Ohr der Vorwurf, die Verwünschung ...
Und zerrt und würget ...
mit hohler Stimme
und würget ...
Ein eis'ger Schauder fasst mich ... mich dünkt ...
Ich säh's, das tote Kind vor mir!
Dort, da steht's ... in jener Ecke! Ha! Da steht's ...
Gespensterhaft, es wächst ... es nähert sich ...
Es bebt und stöhnet ... Fort! Fort!
sprechend
Nicht ich ... dein Mörder ... ich bin's nicht ...
Nein! Nein, Kind ... Nicht ich ... nicht ich,
Volkswille war es - Hörst du, Kind ...
Hilf mir, Gott, denn du willst den Tod des Sünders nicht,
Sei gnädig mir! Erbarm dich deines Knechts Boris!

DRITTER AUFZUG

ERSTES BILD
Gemach der Marina Mnischek im Schloss zu Sandomir. Marina sitzt vor dem Spiegel und hört den Mädchen zu

CHOR DER MÄDCHEN VON SANDOMIR
Am Ufer der Weichsel im Schatten der Weiden
Da weiss ich ein Blümlein, schneeweiss und süssduftend
In spiegelnde Fluten schaut lächelnd es nieder,
Draus lacht ihm sein holdes Bild lieblich entgegen.
Und über dem Blümlein schwebt lustig und leicht
Ein Schwarm glitzernder Falter, sich wiegend im Reigen.
Von Blümleins holdsel'gem Liebreize bezaubert,
Nicht wagen die Falter sich kosend zu nah'n ihm.
Das holde Weissblümlein tief neiget sein Köpfchen.
In spiegelnde Wasser schaut lächelnd es nieder.

MARINA
zur Dienerin
Gib her mein Diadem!

CHOR DER MÄDCHEN
Im schönen Palaste, da weiss ich ein Fräulein,
Viel tausendmal schöner als jenes Weissblümlein.
Zur Freude von ganz Sandomir
Blühet herrlich die holdsel'ge Maid.
Nicht wenig hochedle und glänzende Herren
In Ehrfurcht sich neigen vor ihrem holden Liebreiz,
Ihr liebliches Lächeln glückselig erhaschend,
Zu Füssen ihr schmachtend, in Sehnsucht vergehend.
Doch unser jung' Fräulein lacht schelmisch darüber,
Lacht über ihr Schmachten, ihr glühendes Werben,
Will nicht erhören ihr Flehen und ihr Seufzen.

MARINA
Hört auf nun!
Das schöne Fräulein saget Dank euch für eure lieben Worte,
Für den Vergleich mit jenem schönen Blümlein,
Das so hold und rein ist. Doch nicht behagte Panna Mnischek
Das schmeichlerische Loblied und die abgeschmackte fade Anspielung
Auf hochedle Herren, die täglich scharenweise
Zu ihren Füssen liegen, in Sehnsucht sich verzehrend.
Nein, nicht solche Lieder wünscht sich Panna Mnischek,
Will kein Loblied ihrer Schönheit von euch hören,
Singt ihr lieber solche Lieder, die als Kind sie einst gesungen,
Heldenlieder, Siegeslieder, die von Polens Grösse reden,
Und von tapf'ren Polenjungfraun, von geschlag'nen Polenfeinden.
Das ist's was ich hören möchte, solche Lieder hör' ich gerne!
Nun gehet!

Die Mädchen ab, zur Dienerin:

Dich, Rosa, dich brauch ich heut nicht länger.
Geh zu Bett!

Die Dienerin ab

Arie der Marina

Langweilig ist's mir, ach wie ekelt's mich,
Wie so öde, schal und fade ziehn die Tage hin sich,
Wie so inhaltsleer, so zwecklos!
Nicht vermag ein ganzer Schwarm von Fürsten, Grafen, Rittern
Zu zerstreu'n die Langeweile!
Aber nun in Nebelferne
Ist ein Strahl mir aufgeblitzet:
's ist der fremde Abenteurer,
Der Marinas Herz gefangen.
Mein Dimitrij, grimmer Rächer,
Rächer unbarmherzig,
Gottes Strafgericht und Geissel,
Der gekommen ist zu rächen
Den gemordeten Zarewitsch,
Armes Opfer jenes Frevlers,
Der sich stahl den Thron des Zaren.
Werd' die schläfrigen Magnaten wecken,
Werd' mit Gold den Polenadel locken.
Dich jedoch, du falscher Dimitrij,
Dich, mein stiller Freier,
Will bezaubern ich mit heissen Liebestränen,
Werd' dich küssen, werd' dich pressen
An mein warmes Herze,
Mein Zarewitsch, mein Dimitrij,
Du mein Auserwählter!
Werd' mit zartem Liebesflüstern
Deinen Sinn betören,
Mein Zarewitsch, mein Dimitrij,
Du mein stiller Freier!
Panna Mnischek nicht befriedigt
All das laue Liebeswerben
Der verliebten Herrenschar,
Die faden Reden der Magnaten.
Panna Mnischek sehnt nach Ruhm sich,
Panna Mnischek lechzt nach Herrschaft.
Werd' als Zarin auf dem Thron der Moskowiter sitzen,
Und in golddurchwirktem Purpur
Leuchten gleich der Sonne,
Meine Schönheit wird berücken
All die stumpfen Moskowiter,
Werd' die Herde der Bojaren
Nieder mir zu Füssen zwingen.
Und in Liedern, in Legenden,
Werden mich, die stolze Zarin,
Dann besingen jene stumpfen Moskowiter!
sie lacht
Ha! ha! ha! ha! ha! ha! ha!
Sie erblickt Rangoni und stösst einen Schrei aus
Ach! ... Ach, ehrwürd'ger Vater, Ihr! ...

RANGONI
erscheint in der Tür
Gestattet Ihr dem unscheinbaren Knechte Gottes
Sich bittend Euch zu nah'n? Wollt, Panna, Ihr geneigt sein,
Gehör zu leihen ihm?

MARINA
Hochwürden, nicht sollt Ihr bitten mich;
Marina Mnischek war und bleibt die treue Tochter stets
Der heil'gen, alleinseligmachenden und apostolischen Kirche.

RANGONI
Seht, die heil'ge Kirche Gottes wird vergessen,
Unsre Heil'genbilder sind verblichen,
Und es versiegt der reine Quell des Glaubens;
Schon verlöscht im Weihrauchfass das Feuer,
Von neuem bluten die heiligen Märtyrer,
Trauer herrscht in den himmlischen Gefilden,
Weinend klagen Gottes fromme Diener.

MARINA
Hochwürden, ach ... Ich erfüllet mein Gemüt
Ach, mit Kummer schwer, o, eure Rede
Weckt schmerzliche Empörung mir im Herzen.

RANGONI
Tochter mein! Marina!
Du sollst das Heil den Moskowitern bringen
Den rechten Glauben du; weise ihnen den Weg zum Heile,
Ihren sünd'gen Geist sollst du läutern!
Und die Engel im Himmel
Sie werden preisen dich vor Gottes Thron
Als die heilige Marina.

MARINA
Und die Engel im Himmel,
Sie werden preisen mich vor Gottes Thron
Als die heilige Marina! ...
Huh! welche Sünde! ... Hochwürden, o wie entsetzlich
Habt Ihr verführet meine sündige,
Und unerfahr'ne, flatterhafte Seele.
Nein, nicht mir wird es gelingen, die ich gewöhnt an Lust und Freuden,
Nein, nicht mir ist es beschieden, Gottes Lehre zu verkünden.
Nicht vermag ich's!

RANGONI
So fessle durch Schönheit den falschen Dimitrij!
Wecke mit flammendem, glühendem Liebeswort
Wecke die Leidenschaft in ihm; mit deinem Zauberblick,
Mit deinem Lächeln berücke du seinen Verstand!
Weise hinweg alle kindische Furcht, alle törichte Qual des Gewissens,
Wirf von dir weg alles nichtige Vorurteil, törichte Mädchenscheu,
Tugendhaft Wesen. Bisweilen stelle dich zornig,
Dann wieder sei wählerisch, launisch, bisweilen zärtlich und schmeichelnd,
Mit allen nur denkbaren Künsten sollst umgarnen ihn,
Musst bestricken ihn, und wenn er dann ermattet zu Füssen dir sinkt
In unsäglicher Wonne und harrt deiner Wünsche,
Ford're von ihm dann den Schwur der Propaganda!

MARINA
Mein Sinn steht nach andrem ...

RANGONI
Ha! Vermessne, du wagst es, der Kirche zu trotzen?
Wenn es verlangt die heilige Kirche,
So sollst du ihr hingeben alles,
Sollst opfern ihr ohne Bedauern, selbst deine Ehre!

MARINA
Was? Frecher Lügner! Ich fluch' deinen listigen Reden,
Fluch' deines Herzens Verderbnis, ich fluche dir!
Hinweg! Aus den Augen mir! Fort! Heb dich fort!

RANGONI
Marina!
Höllisches Feuer in deinem Blicke ich spüre,
Verzerrt ist dein Antlitz, bleich deine Wange;
Als ob ein giftiger Odem hat deine Schönheit hinweggeweht.

MARINA
Himmel, Himmel! Rette mich! Himmel, o erbarme dich!
O mein Gott, was soll ich tun? Errette mich Arme! Ach!

RANGONI
Höllengeister das Herz dir umstricken,
Mit teuflischem Stolz deinen Geist dir verwirren.
In finst'rer Hoheit, auf Flügeln der Hölle
Schwebt der Satan selbst über dir!
Gehorch dem Boten des Herrn, ergib dich mir mit ganzer Seele,
Mit ganzem Herzen und mit allen deinen Wünschen ...
Gehorche mir und Gott!

Der Vorhang fällt

ZWEITES BILD
Im Schlossgarten zu Sandomir. Ein Springbrunnen. Mondnacht. Dimitrij tritt in Träumereien versunken aus dem Schlosse

DIMITRIJ
„Im Garten ... heut' Nacht ... am Springbrunnen!“ O süsse Stimme,
Mit welcher Wonne du hast mein Herz erfüllet!
Ob du wohl kommst, Geliebte mein?
Mein Täubchen, mein weisses, mein leichtbeschwingtes du!
Hast wohl vergessen schon den kühnen Falken du,
Der nun in Sehnsucht heiss sich verzehrt um dich?
Mit holdem Liebesgruss, süssem Kosewort,
Marina, lindre du meine Herzenspein!
Marina! ... Marina! ... Gib Antwort! o gib Antwort!
O komm, o komm, ich harre dein, ich harre dein,
O komm, erhöre doch mein Fleh'n! ...
Nein, keine Antwort!

Um die Ecke des Schlosses schleicht, sich umschauend, der Jesuit

RANGONI
Zarewitsch!

DIMITRIJ
Schon wieder du! Dem Schatten gleich folgst du mir!

RANGONI
O mein durchlauchtigster Zarewitsch!
Es sendet mich her zu Euch die schöne Marina.

DIMITRIJ
Marina?

RANGONI
Der Himmel hat mir sie als gläub'ge Tochter verliehen.
Sie flehte mich an, Euch zu sagen,
Dass sie viel boshaften Spott um Euch hat dulden müssen,
Doch dass sie Euch liebt und noch heute kommt ...

DIMITRIJ
O, wenn du nur nicht lügst, wenn's nicht der Satan ist,
Der mir diese wundersüssen Worte spricht ...
O, dann werd' ich sie erheben vor allem russischen Volk,
Werde führen sie mit mir auf den Zarenthron,
Ihrer Schönheit wird sich neigen unser rechtgläub'ges Volk.
Du Dämon!
Wie ein Dieb zur Nacht, so schleichst du ins Herz mir,
Du hast mir das Bekenntnis schlau entrissen,
Du lügst, Marina liebt mich nicht!

RANGONI
Ich, ich sollt' belügen dich, Zarewitsch?
Glaub mir, um dich sie grämt und härmt sich Tag und Nacht
In heisser Liebessehnsucht, täglich träumt sie
In nächtlicher Stille von deiner hohen Zukunft.
O, wenn du wirklich liebtest sie,
O, wenn du wüsstest ihre Qualen, hörtest den Spott der Magnaten,
Hämischen Neid ihrer Frauen, boshaftes Zischeln,
Leeres Gerede von heimlichem Stelldichein, heimlichen Küssen,
All diese unerträgliche Kränkung,
Dann würdest du glauben mein Wort
Und würdest nicht weisen zurück meine Botschaft,
Lüge nicht nennen die brennenden Qualen Marinas!

DIMITRIJ
O schweige! Bitter trifft mich dein Vorwurf,
Doch zu lang musst' ich verbergen mein Glück vor den Menschen.
Marina werde treu ich schützen, ich werde zücht'gen die Vermessnen,
Zur blut'gen Rechenschaft zieh'n die Verleumder,
Verlachen werd' ich all ihre Bosheit,
Und öffentlich werd' ich vor allen Magnaten
Mich werfen der holden Marina zu Füssen
Und ihr meine heisse Liebe gestehen, werde sie flehentlich bitten,
Mein Weib zu sein, meine herrliche Zarin! ...

RANGONI
Der heilige Ignaz helf' dir dazu!

DIMITRIJ
Du, der du der Welt entsagt hast,
Der sünd'gen Welt und all ihren Freuden,
Der du ein Meister der Kunst der Verführung,
Ich beschwöre dich bei deinem heil'gen Eid,
Bei deiner Hoffnung auf einst'ge ew'ge Seligkeit:
O, führ mich zu ihr, lass die Geliebte mich sehn,
Dass ich endlich ihr sagen kann, wie so heiss ich sie lieb';
Kein Preis ist zu hoch, den ich weigerte dir.

RANGONI
Ein frommer, demutsvoller Diener des himmlischen Herrn,
Der stündlich nur ans Wohl des Nächsten denkt
Und an die ew'ge Vergeltung am jüngsten Gericht,
Kein Preis lockt ihn, noch Goldeswert.
Sieh! ein solcher bin ich,
Und mich können keine Schätze locken hier auf Erden!
Doch wenn du, gehorsam der göttlichen Eingebung,
Mir gewährst, was ich demütig bitte:
Wie einen Sohn dich zu hüten,
Auf jeden deiner Schritte zu achten,
Sorgsam und stets ratend dir beizustehn ...

DIMITRIJ
Ja, nimmermehr werd' ich mich trennen von dir,
Nur lass sehn mich Marina, lass mich umarmen sie!

RANGONI
Verbirg dich, Dmitrij!

DIMITRIJ
Was ist dir?

RANGONI
Ich hör', es kommt hierher ein Haufen zechender Magnaten.
O flieh, Zarewitsch, ich beschwöre dich, o geh!

DIMITRIJ
Lass sie kommen, werde sie empfangen
Dem Rang gemäss mit aller Ehre.

RANGONI
Besinn dich, Zarewitsch! Bringst dich selbst ins Verderben,
Verrätst Marina ... O geh, Zarewitsch!

Dimitrij verbirgt sich hinter den Bäumen. Aus dem Schlosse kommt eine Schar Gäste

Polonaise

MARINA
am Arm eines alten Magnaten
Nein, nicht glaub' ich Euren süssen Worten,
Eure heissen Liebesschwüre sind vergeblich!
Nimmermehr wird's Euch gelingen, mich, Marina zu betör'n.

Gehen vorüber

DIE MAGNATEN
Bald wird unser sein das Reich der Moskowiter,
Werden die Barbaren bald gefangen nehmen!
Ihre Kriegesheere werden bald wir treten
Siegreich in den Staub.

DIE DAMEN
Auf nach Moskau!
Zögert doch nicht länger mehr!
Siegreich zieht dort ein!
Vorwärts, auf nach Moskau lasset schnell uns zieh'n!
Auf, vorwärts auf den Feind! Säumt nicht länger mehr!
Nehmt Boris, den Zaren selbst gefangen!

DIE MAGNATEN
aus dem Garten in das Schloss zurückkehrend
Für Polens Ruhm und Ehre,
Sei zerstört das Nest der Moskowiter!

DIE DAMEN
Marina wird's nicht können, dazu ist sie zu kalt,
Und viel zu stolz und böse.

MARINA
ins Schloss tretend zu den Gästen
Schenkt ein, schenkt ein, Ihr edlen Herren!

DIE GÄSTE
Lebe hoch, Marina Mnischek!
Leert das Glas aufs Wohl Marinas!
Leert das Glas aufs Wohl der Mnischek!
Lasst mit süssem Ungarweine
Feiern uns die schöne Panna Mnischek!
Vivat! Vivat! Vivat! Vivat!

Marina und die Gäste treten ins Schloss

DIMITRIJ
allein
Der schlaue Jesuit hielt mich fest in seinen scharfen Teufelskrallen,
Und nur von weitem, flüchtig nur gelang es mir.
Marina zu erblicken und ihrer dunklen Augen Zauberglanz
Ganz heimlich nur zu spüren. Wie schlug mein Herz so wild doch
Ach, und so stürmisch, dass ich nahe war daran, mich loszureissen,
Den ungebet'nen Schutzherrn fortzujagen, den geistlichen Berater.
Wie sein Geschwätz so widerlich und sein Gered voll Arglist
Und voll Falschheit. Am Arm des prahlerischen, alten Polen
Schritt stolz wie eine Königin Marina, ein herrlich Lächeln um die süssen Lippen.
Wohl flüsterte die Holde von zarter Minne,
Von heisser Sehnsucht, von süssem Eheglücke ...
Als Weib dieses seelenlosen Wüstlings!
Da ihr das Schicksal glühende Liebeswonnen bietet,
Die goldne Krone und den Purpurmantel!
Der Teufel hol's! Geschwind die stählern' Waffenrüstung,
Den Helm, das Schwert umgürtet, und schnell aufs Pferd!
Auf, auf ins Schlachtgewühl!
Stets kühn voran der tapferen Kriegerschar
Reit' ich gezückten Stahls g'rad auf den Feind,
Kühn mir in heisser Schlacht erkämpf' ich den Thron!

MARINA
in den Garten tretend
Dimitrij! Zarewitsch! Dimitrij!

DIMITRIJ
Sie ist's! Marina!
geht ihr entgegen
Du!
O Heissgeliebte! O Angebetete!
Ach wie so langsam doch, wie träge
Schlichten die Stunden der Erwartung,
Qualen der Eifersucht und Zweifel
Nagten am Herzen, trübten all meine klaren Gedanken
Und liessen mich verwünschen mein Glück, meine Liebe!

MARINA
Weiss schon! Weiss alles! Dass du des Nachts nicht schlummerst mehr
Und Tag und Nacht allein nur träumst von ihr, Marina! -
Nicht um Liebeständelei und nicht um leerer Reden willen
Bin gekommen ich: Bist allein du, magst du träumen,
Magst in Liebe du vergehn und Eifersucht.
Selbst die allergrössten Opfer könnten mich nicht rühren,
Und sei's dein Tod sogar vor lauter Liebesleid!
Sag, wann in Moskau ziehst du ein als Zar?

DIMITRIJ
Als Zar? ... Marina, du erschreckst mein Herz!
Ist's möglich denn, dass all der Glanz des Thrones,
Der Schranzen eitler Schwarm, ihr widerliches Schmeicheln,
Dass alles dies ertöten könnt' die heil'ge Sehnsucht
Nach unvergänglicher Liebe, wonnigem Kosen, nach wilden Küssen
Nach all dem Entzücken des Zaubers heisser Liebe?

MARINA
Natürlich! auch in einer kleinen Hütte fänden wir ein stilles Glück!
Was ist uns an Ruhm gelegen, wenn allein die Liebe satt uns macht?
Wahrlich, wenn, Zarewitsch, Ihr nichts als Liebe suchet,
So könntet Ihr in Moskau genug der Frauen finden,
Die schön sind und kräftig und gar begehrenswert!

DIMITRIJ
Nur dir, nur dir allein, Marina,
Gilt all mein Sehnen, gilt all mein Hoffen!
Nur dich allein lieb' ich, Marina,
O, hab Erbarmen mit meinen Qualen,
Weis' mich nicht von dir!

MARINA
Nicht mich, Marina, Ihr habt das Weib in mir allein geliebt?
Höre denn: Mich könnte nur der goldne Zarenthron verführen,
Hörst du wohl: die Zarenkrone!

DIMITRIJ
Wie grausam doch mein Herz zerfleischest du, Marina!
Von deinen Worten weht es kalt in meine Seele.
Lass zu deinen Füssen mich dich bitten heiss und flehentlich:
O stosse nicht von dir mein Liebeswerben!

MARINA
O du Liebestoller, quäl dich nicht umsonst mit Flehn und Seufzen!
O steh auf, du Armer, wie du leid mir tust, mein armer Freier!
Bist vor lauter heisser Liebe zu Marina ganz erschöpft schon!
ag und Nacht von ihr nur träumst du,
Hast vor Liebe ganz vergessen, dass du Zar hast werden wollen.
Fort, du eitler Prahler!

DIMITRIJ
Marina, höre doch!

MARINA
Fort, du Polendiener! Fort, du Knecht!

DIMITRIJ
Halt, Marina! Du wagst mir vorzuwerfen, was ich war.
Bevor mein Stern zur Höhe mich geleitet?
Ha! unverschämte Polin! Der Zar bin ich!
Schon strömt mir zu das Volk aus allen Gauen;
Schon morgen geht's hinaus zum blut'gen heissen Kampfe,
Wie ein Adler kühn, so stürme ich nach Moskau
Zum Zarenthron, den mir das Schicksal beut!
Doch wenn ich dann Zar geworden in unnahbarer Grösse
O, mit welcher Wonne werd' ich verlachen dich dann,
Werde mit gier'ger Wollust mich weiden daran,
Wie du dich quälend ums Glück, das verscherzte,
Als Sklavin gehorsam dich krümmen
Und winden wirst vor den Stufen meines Throns,
Dann befehl' ich, dass jeder verlache diese dumme Polin!

MARINA
Verlache! ... Hör Zarewitsch, ich beschwör' dich,
Vergib mir gnädig meine bösen Reden!
Nicht Verachtung und nicht Kälte, es sprach aus Allem
Nur meine Liebe, die Sorge um deines Ruhmes Grösse!
Die dunkle, stille Nacht, sie sei mein Zeuge!
O mein Geliebter, ewig treu bleibet dir Marina!
Doch vergiss, vergiss sie jetzt, vergiss deine Liebe jetzt,
O eile hin zu deinem Thron!

DIMITRIJ
Marina, reiss nicht des Herzens Wunden auf
Durch Trugbilder heuchlerischer Liebe!

MARINA
Ich liebe dich, du mein Teurer, du mein Gebieter!

DIMITRIJ
O, wiederhole das Wort, Marina!
O, lass nicht erkalten die Wonne,
Gib mir süssen Frieden,
Du meine holde Zauberin!

MARINA
Mein Zar du!

DIMITRIJ
Lass dich umarmen, o meine Zarin du!
O Marina, lass drücken dich fest an mein Herz!

MARINA
O, du hast meine Seele bezwungen!
Mein Geliebter du!

Umarmen sich

Rangoni erscheint. Er beobachtet von weitem Dimitrij und Marina

STIMMEN DER MAGNATEN
hinter der Bühne
Vivat! Vivat! Vivat!

Vorhang VIERTER AUFZUG

ERSTES BILD
Eine Waldlichtung bei Kromy. Rechts ein Abhang und dahinter die Stadtmauer. Vom Abhang führt ein Weg quer über die Bühne. Gradeaus das Walddickicht. Neben dem Abhange ein grosser Baumstumpf.
Den Abhang entlang stürmt ein Haufen Vagabunden, in ihrer Mitte der gebundene Bojar Chruschtschoff.


DIE VAGABUNDEN
Schleppt ihn hierher! Hier auf den Baumstumpf setzt ihn nieder!
Hierher!
Setzen Chruschtschoff auf den Baumstumpf
Und dass er nicht so heul', die adlige Bojarenkehle schone,
Stopft sie ihm zu!

Verstopfen Chruschtschoffs Mund mit einem Lappen

ALLE
Recht so!

DIE MÄNNER
Nun, Brüder,
Und soll der Bojar ohne Ehrbezeigung bleiben?
Was, ohne Ehren? Nie und nimmer:
's ist doch ein grosser Herr bei Hofe!
Boris hat wie ein Dieb den Zarenthron gestohlen,
Und der ... bestahl den andern Dieb!
Nun, dafür kriegt nun der Dieb auch seinen Ehrensold!
He! Wache! Thomas! Epiphan! Stellt euch hinter ihn!

Zwei mit Knüppeln bewaffnete Kerle stellen sich hinter Chruschtschoff auf

ALLE
Recht so! Recht so!

DIE FRAUEN
Seht doch das Wundertier!
Hat man wohl je erlebt, dass ein Bojar ohne Schatz war?
Das wär' nicht übel! Ein Bojar ohne Schatz
Ist wie Pastete ohne Füllung: ein trocken Brot!
Afimja, komm, Täubchen, die Nachbarn sagen,
Du wärest weit schon über hundert ...
Also ist's nicht mehr gefährlich!
Aus dem Haufen tritt ächzend und hüstelnd ein uraltes Weib hervor und humpelt zu Chruschtschoff hin
Hallo, nun hat er einen Herzensschatz!

ALLE
Hierher! Ha, ha, ha, ha, ha!
Recht so! Nun singt ihm Lob und Preis!

DIE MÄNNER
Nun singt ihm Lob und Preis! He, Weiber, fanget an!

DIE FRAUEN
Der Chor stellt sich im Halbkreise vor Chruschtschoff auf.

Nicht ein Falke, in Lüften sich wiegend,
Nicht ein feurig Ross, die Felder durchfliegend
Tief in Gedanken sitzt der Bojar, sitzt und grübelt nach.

ALLE
Heil dem Bojaren, Heil ihm, dem Zarenknecht!
Verneigen sich

DIE MÄNNER
Halt, Weiber!
Seht ihr denn nicht? Der Herr hat keinen Knüppel!
Wozu ein Knüppel? Gebt 'ne Knute!
Drücken Chruschtschoff eine Knute in die Hand
Recht so! Weiter im Text!

DIE FRAUEN
Tief in Gedanken versunken, so sitzt der Bojar,
Denkt und grübelt nach, wie er wohl
Uns armes Volk dem Zaren zuliebe quälen könnt!

ALLE
Heil dem Bojaren, Heil ihm, dem Zarenknecht!
Verneigen sich
Hast in hohen Ehren stets uns gehalten,
Hast gepeinigt und grausam gequälet uns,
Hast mit Peitschenhieben uns oft durch Hunger und Elend getrieben!
Heil dem Bojaren, Heil dir, du Zarenknecht!
Heil dir und Dank dir und Preis und Ehre jetzt!
Heil dir! Heil dir! Heil dir ewiglich!

Verneigen sich bis zur Erde. Ein Blödsinniger, von Buben umringt, tritt auf

DIE BUBEN
Trr ... rrr ... rrr ... rrr! O seht auf dem Kopf
Den eisernen Topf! U-lu-lu-lu-lu-lu-lu-trr!

DER BLÖDSINNIGE.
setzt sich auf einen Stein und singt hin und herschwankend
Bleicher Mondschein ... ein Kätzchen wimmert.
Du blöder Narr, steh auf, sprich ein frommes Sprüchlein.
Lobet Gott den Schöpfer, preiset Jesum!
Schönes Wetter wird's heut' geben,
Schönes Wetter ... Mondschein ...

DIE BUBEN
Grüss dich Gott, lieber, dummer Narr Iwanitsch!
Steh auf und preise uns,
Tief vor uns verneige dich,
Nimm dein Mützchen ab,
Mützchen ist so schwer.
Schlagen auf die Eisenkappe des Blödsinnigen
Dsin, dsin, dsin, wie das klingt!

DER BLÖDSINNIGE
Hab' einen Kupfergroschen dahier!

DIE BUBEN
Zeig mal! Flunkre nicht, zeig her geschwind!

DER BLÖDSINNIGE.
sucht das Geldstück
Da!

DIE BUBEN
entreissen ihm die Münze
Futsch!

DER BLÖDSINNIGE
A! a! a! Was hab ich euch zuleide getan?
A! a! a! Gebt mir meinen Groschen her! A, a, a!

MISSAIL UND WARLAAM
hinter der Bühne
Sonne und Mond verfinstern sich,
Untergegangen sind die Sterne all,
Die Welt erbebt, die Welt erzittert
Für Boris', des Zaren, schwere Missetat.
Seltsame Bestien schleichen umher,
Gebärend wilder Drachen Gewürm,
Zu verschlingen das schuldige Menschengeschlecht.
Zu sühnen des Zaren Missetat.
näherkommend
Schwer wird gepeinigt Gottes Volk,
Es foltern die Zarenknechte.

DIE MENGE
sich nach rechts drängend
Wer sind diese?
Heil'ge Mönche sind's, aus Moskau kommend;
Singen ein Lied vom Jammer und Elend, von grausigen Foltern,
Sie singen vom Jammer des armen Volks,
Des schuldlos leidenden Volkes.

MISSAIL UND WARLAAM
eintretend
Aufgehetzt von böser Höllenmacht,
Verkündend des Höllenfürsten Herrlichkeit ...
Stöhnend erbebt unser Vaterland,
Es stöhnet unterm Druck des Apostaten,
Unter dem Zarenmörder, dem verfluchten
Als Sühne der untilgbaren Missetat.

DIE MENGE
Haida! Frei und ledig ihrer Fesseln
Stürmisch bricht sich Bahn des Volkes Kraft.
Flammend lodert auf glühendheiss sein Blut.
Aus der Tiefe steigt empor seine allgewalt'ge Kraft.
Wie ein Lauffeuer prasselnd aus sich dehnt,
So auch jauchzend stürmt dahin unsre wilde Kraft.
Hei, du Kraft, du unbänd'ge!
Hei, du Kraft, du gewaltige!
Hei, du Kraft, du mächtige,
Hei, du Kraft du rächende!
Steh uns bei, du rächende!
Steh uns bei, du strafende!
Tosend wie ein prasselnd Feuer
Fege alles vor dir nieder!
Wie ein Feuermeer
Tosend stürm' daher!
Hei, du unbänd'ge Kraft, du mächtige!
Steh uns bei, allgewaltige Kraft!

WARLAAM UND MISSAIL.
Nehmt ihn auf, den Zaren, nehmt ihn auf, den rechtmässigen,
Nehmet auf den Gottgeretteten, den vor Mörderhand heil bewahrten,
Nehmet auf, ihr Brüder, den edlen Zaren Dimitrij Iwanowitsch!

DIE MENGE
Stürmisch bricht sich Bahn die Kraft, die allgewalt'ge, mächtige,
Jauchzend kommt die Kraft geflogen, heulend wie ein Sturm,
Tosend, prasselnd wie ein lodernd Flammenmeer.

ALLE
Heimlich schnüffelnd schleichen die Häscher.
Sie foltern schuldlose Menschen!
Grausam sie würgen in Folterkammern
Schuldlose Menschen, rechtgläubige Christen!
Tod! Tod! Tod dem Mörder,
Dem Zarenmörder Tod!

LOWITZKY UND TSCHERNJAKOWSKY
hinter der Bühne
Domine, Domine, salvum fac
Regem Demetrium Moscoviae Omnis Russiae ... Salvum fac ...
Salvum fac Regem Demetrium!

STIMMEN AUS DER MENGE
Zum Teufel auch! Wer kommt denn da noch her?
Heulen wie die Wölfe!
Die Menge läuft nach links, den Jesuiten entgegen
Was für Teufelspack!

LOWITZKY UND TSCHERNJAKOWSKY
näherkommend
Domine, Domine, salvum fac, salvum fac, salvum fac!

WARLAAM
O die ekle Rabenbrut! erfrecht sich schon auszurufen
Den Zarewitsch? Bruder Missail, das leiden wir nicht!

MISSAIL
Nein, wir leiden's nicht!

LOWITZKY UND TSCHERNJAKOWSKY
erscheinen auf der Bühne
Domine, Domine, salvum fac
Regem Demetrium Moscoviae!

MISSAIL
Hängt die schwarzen Raben!

DIE MENGE
Haida!
Erwürgt! Hängt auf! Ha! Tod den Ketzern!
Tod den Ketzern, hängt sie auf!

Die Jesuiten werden ergriffen

WARLAAM
Ja, hängt sie auf an die erste beste Espe,
Dass sie zum Ruhme des Höchsten Psalmen singen!
Die Jesuiten werden gebunden
Bindet sie fest, dass sie nicht fuchteln mit den Händen!
Lasset leuchten dort euer Kirchenlicht!

LOWITZKY UND TSCHERNJAKOWSKY
Sanctissima virgo!
Juva, juva servos tuos!

DIE MENGE
Haida! An die Espe!

Die Jesuiten werden hinter die Bühne geschleppt

LOWITZKY UND TSCHERNJAKOWSKY
Sanctissima virgo!
Juva servos tuos, servos tuos!

Die auf der Bühne zurückgebliebenen Vagabunden lauschen gespannt. Krieger treten auf. Die Vagabunden nebst den Jesuiten kehren wieder auf die Bühne zurück

MISSAIL UND WARLAAM
Heil dem Zarewitsch! Preiset ihn, den Gott gerettet hat!

DIE MENGE
Heil dem Zarewitsch, den Gott gerettet hat!
Heil, Heil dir! Heil, Heil dir!
Preis dir und Ruhm, Dimitrij Iwanowitsch!
Heil dir und Segen, Dimitrij Iwanowitsch!
Heil dir, Heil dir, Heil dir!
Hoch zu Ross erscheint der Dimitrij
Heil dir! Heil dir! Heil dir!

DIMITRIJ
vom Ross herab
Wir, Dimitrij Iwanowitsch,
Wir, von Gottes Gnaden Zarewitsch des Reussenreiches,
Fürst vom Geblüte unsrer Ahnen,
Euch von Godunoff Verfolgten verkünden wir hiermit
In Gnaden Unsern hohen Beistand.

CHRUSCHTSCHOW
O mein Gott! Heil dir, Zarewitsch!
Heil dir und Preis!

Verneigt sich tief

DIMITRIJ
Steh auf, Bojar, und folge uns zum Kampf und Sieg!
Auf, auf zur heil'gen Heimat
Reitet rechts den Abhang hinauf
Mir nach! Auf zum goldnen Kreml!

DIE MENGE
Heil Dir, Zar! Preis und Ruhm!
Wir folgen dir, Dimitrij Iwanowitsch!
Heil dir!

Die Menge folgt dem falschen Demetrius nach. Man hört die Sturmglocke

LOWITZKY UND TSCHERNJAKOWSKY
dem falschen Demetrius folgend
Gloria Deo! Gloria!

Trompeten hinter der Bühne. Die Bühne wird leer

DIE BLÖDSINNIGE
setzt sich auf einen Stein. Von rechts her loht der Feuerschein einer grossen Feuersbrunst herüber
Fliesset, fliesset, heisse, bittre Tränen,
Weine, weine, gläub'ge Christenseele
Denn der Feind kommt bald, und dann senkt sich nieder
Die Finsternis auf das Vaterland.
Wehe, wehe dir, du armes Volk,
Du hungernd Volk!

Der Vorhang fällt


ZWEITES BILD
Der grosse Empfangssaal im Schloss des Kreml in Moskau. An den Seiten Bänke. Rechts der Ausgang auf die rote Freitreppe, links in die inneren Zarengemächer. Rechts, näher zur Rampe, ein Tisch mit Schreibgerät, mehr nach links, der Platz für den Zaren. Ausserordentliche Sitzung der Bojarenduma

DIE BOJAREN
Wenn sie ihre Stimme abgeben, erheben sie sich jedesmal, dann verneigen sie sich und setzen sich wieder nieder

EINIGE
Auf, das Urteil sei gefällt, Bojaren!

ANDERE
Ihr äussert euch zuerst, Bojaren!

DRITTE
Nun, unsere Meinung ist schon längst beschlossen.
zu Schtschelkaloff
So schreib, Andrej Michailitsch.

ERSTE
Dem Frevler, gleichviel wer es sei, der Tod!

VIERTE
Halt, Bojaren! Erst fangen muss man ihn,
Dann kann man hängen ihn!

ERSTE
Richtig ...

FÜNFTE
Wir sind doch andrer Meinung.

ZWEITE
Ach was, Bojaren, unterbrecht nicht!

ERSTE
Den Frevler ... gleich fangen soll man ihn
Und am Bock soll man ihn foltern ...

ZWEITE
Und dann sofort soll er hingerichtet werden,
Mög' er dann ein Frass der Raben sein!

DRITTE
Und was übrig,
Soll im Feuer verbrennet werden vor dem Volke,
Und dreimal verflucht soll sein die Asche.

VIERTE
Und des Toten Asche soll man weit zerstreu'n in alle Winde,

ALLE
Dass auch jede Spur des Frevlers sei verwehet von der Erde,
Und jeden, der es hält mit ihm, soll treffen der Tod,
Und dann am Schandpfahl hängen soll sein Leib,
Und dies sei überall dem Volke verkündet.
In allen Dörfern, Städten, Höfen, Weilern im ganzen Reich,
In allen Gassen, allen Kirchen, Klöstern sei's verkündet;
Und knieend soll das Volk den Höchsten bitten
Er möge, gnädig sich erbarmend, uns Frieden schenken!

EINIGE
Schad', Schujskij fehlt im Rate. Zwar ist's ein Wühler,
Doch seine Meinung hätten gern wir hier vernommen.
Schujskij tritt ein
Da kommt er wie gerufen!

SCHUJSKIJ
Vergebet mir, Bojaren, dass ich so spät erscheine
So lange euch auf mich hab' warten lassen!
Als neulich ich beim Zaren war und fortging,
Von ganzem Herzen bedauernd seine kranke Seele,
Da war die Türe durch Zufall aufgeblieben.
O, was erblickt' ich da, Bojaren!
Bleich, mit kaltem Schweiss bedeckt und zitternd am ganzen Leibe
Und murmelnd dumpf und wirr gar seltsam abgeriss'ne Worte,
Flammend und stier um sich blickend sass da der Zar,
In grässlichen Qualen, in fürchterlicher Angst sich windend.
Bleich wie der Tod, wild starrend in die Ecke
Und stöhnend vor tödlichem Entsetzen ...
Laut flehend zum ermordeten Zarewitsch ...

EINIGE BOJAREN
Ha! das lügst du!

ANDERE
Was?

SCHUJSKIJ
Sein bleich' Gespenst voll graus'ger Angst verscheuchend:
„Fort! fort! Kind!“

Zar Boris tritt herein

BORIS
sprechend
Fort! fort! fort, Kind!

DIE BOJAREN
Boris erblickend
Leise! Der Zar ... O mein Gott!
Allmächtiger Gott, sieh erbarmend nieder!

BORIS
sich der Rampe nähernd
Fort, fort ...
Wer sagt, ich sei der Mörder?
Ich bin es nicht! es lebt, das Kind!
Und Schujskij soll für seinen falschen Eid
Gevierteilt werden!
lauschend
Wie?

SCHUJSKIJ
Gottes Segen walte über dir!

BORIS
sich besinnend, schreitet zu seinem Platze
Ich rief nach euch, Bojaren, vertrauend eurem weisen Rate.
setzt sich
In schwerer Zeit, wenn hart geprüft das Reich,
Habt ihr stets beraten mich, Bojaren.

SCHUJSKIJ
Grossmächt'ger Herr und Zar, gestatte deinem treuergebnen,
Demüt'gen Knecht wicht'ge Meldung:
Hier im Schlosshof steht und harrt ein frommer Greis,
Er bittet um die Gnade, zu treten vor dein mildes Angesicht.
Ein wichtiges Geheimnis möcht' er dir offenbaren,
Ein Mann, erfahren, wahrhaft und ehrwürdig.

BORIS
Es sei, lass kommen ihn!
Schujskij ab
Wer weiss, vielleicht wird des Greisen fromm Gespräch
Heilsam lindern meiner Seele Traurigkeit und Angst!

PIMEN
tritt ein und bleibt, Boris scharf anblickend, stehen
Ein frommer Diener des Herrn bin ich,
Der längst entsagt der Welt.
Ich hab' dir wichtiges zu sagen.

BORIS
Erzähle, frommer Greis, sag mir alles, nichts verhehle!

PIMEN
So hör denn:
An einem Abend kam zu mir ein Hirt,
Es war ein alter Mann schon, und kündet' mir
Ein wunderbar Geheimnis.
"Seit früher Kindheit", begann er, "war ich blind
Und habe nie gewusst, was Tag, was Nacht war von Kindheit an,
Vergebens sucht' ich Heilung durch Kräuter,
Und durch Zauber und Besprechen,
Nicht half mir selbst das wundertät'ge Wasser
Aus dem heil'gen Wunderbronnen ...
Umsonst war's. Ich war ans Dunkel so gewöhnt,
Dass mir im Traum sogar nur unsichtbare Dinge
Stets erschienen; mir träumten stets nur Klänge.
Einst im tiefen Schlaf mir träumte: eine Kinderstimme,
Die rief mir zu so deutlich und laut:
'Steh, Väterchen, auf und geh nach Uglitsch hin,
Begib dich in die Kathedrale und bete innig dort an meinem Grabe.
Grossväterchen, ich bin Dimitrij, der Zarewitsch.
Der liebe Gott hat mich gemacht zu seinem Engelein,
Und jetzt bin ich ein heil'ger Wundertäter.'
Ich erwachte, erhob mich, rief mein Enkelsöhnchen
Und wanderte von dannen.
Und kaum hatt' ich mich hingekniet am Grabe,
Da ward so selig mir, so wundersam zu Mut ...
Die Tränen stürzten aus den Augen mir, sie schauten
Die Gotteswelt, den Enkel und das Grab!"

BORIS
O, Hilfe, Luft, Licht her!

Stürzt besinnungslos den Bojaren in die Arme. Pimen ab

BORIS
wieder zu sich kommend
Geschwind, ruft meinen Sohn!
Die Bojaren richten ihn auf
Das Busskleid her ... das Busskleid ...

Feodor kommt eilends

BORIS
zu den Bojaren
Verlass uns jetzt ... Geht fort, Bojaren.

Bojaren ab

BORIS
mit Feodor allein
Leb wohl, mein Sohn, o, ich sterbe ...
Und bald wirst du Zar nun sein.
O frage nicht, auf welche Weise ich Zar geworden bin,
Nicht sollst du's wissen.
Du herrschest nun als echter Zar.
Rechtmässiger Erbe als erstgeborner Sohn.
Hör mich, mein Kind, mein heissgeliebtes!
Traue nicht den Bojaren, mein Sohn, den falschen,
Scharf überwach ihr Ränkespiel, ihr Verhandeln mit Litau'n;
Den Landesverrat musst du strafen erbarmungslos und streng,
Halte auf strenges Gericht, doch unparteiisch Urteil!
Bleibe stets der Hüter des rechten, heil'gen Glaubens,
Und fromm verehre stets die Heiligen Gottes!
Dem Schwesterlein sei stets ein treuer Hüter!
Du bleibst allein der Schützer ihrer Ehre,
Hüte Xenia, unsre reine Taube.
beinahe sprechend
Hilf mir, Gott! o mein Gott!
Ich fleh' dich an, o sei ein gnäd'ger Richter mir ...
O sieh erbarmungsvoll auf meine Vatertränen!
Herrgott, ew'ger Vater, gnädig sieh herab auf meine Waisen du!
O, segne sie, sie sind ja rein und schuldlos ...
Engel des Himmels, die ihr stehet vor Gottes Thron,
umarmt den Sohn
Mit euren Fittigen bedecket liebreich mein teures Kind,
Behütet's vor aller Not und vor Versuchung!
Drückt seinen Sohn an die Brust und küsst ihn. Ein langgezogner Glockenton, ihm folgt das Totengeläut
Horch ... Horch, man läutet schon die Totenklag'!
Gebt mir das heil'ge Mönchskleid, ins Kloster geht der Zar.

KIRCHENSÄNGER
hinter der Bühne
Weinet, all ihr Sterblichen, denn das Leben flieht,
Und bald kommt die Grabesnacht und das ew'ge Schweigen
Weinet! Hallelujah!

kommen herein; die Bühne füllt sich

FEODOR
O mein Vater, sei ruhig! Der Herr wird helfen.

BORIS
Nein, nein, mein Sohn, das Ende naht ...

KIRCHENSÄNGER
Ein schuldlos Kindlein musste sterben einst,
Bitt'ren Tod erleiden; wohl wehrt's sich
Und jammert laut und weint und fleht um Gnade

BORIS
Himmel, Himmel! Steh mir bei!
O Gott, vergib mir meine Schuld,
O graus'ger Tod, wie quälst du doch entsetzlich!

KIRCHENSÄNGER.
Doch fand es keine Gnade!

BORIS
aufspringend
O haltet ein! Der Zar bin ich!
greift sich ans Herz und sinkt in den Lehnsessel zurück
Ich bin es noch! ...
Allmächtiger Gott!
sprechend
sei gnädig mir!
zu den Bojaren, auf seinen Sohn weisend
Hier steht euer ... Zar ... Vergebt mir ...
flüsternd
ich sterbe ...

DIE BOJAREN
flüsternd
Er ist tot ...

Der Vorhang fällt