Im siebten Bühnenhimmel

Alfred Schlienger, Republik (24.09.2018)

King Arthur, 13.09.2018, Basel

Zum Start ein Spagat über die Sparten und Zeiten.

Hier ein barocker «König Arthur» in der grandiosen Neudichtung des öster­reichischen Dramatikers Ewald Palmetshofer: Das Theater Basel lässt dabei alle seine Muskeln spielen und stemmt ein vierstündiges Gesamt­kunstwerk mit Schauspiel, Musiktheater und Tanz, in dem sich Jetztzeit und existenzielle Ewigkeitsfragen lebhaft spiegeln.

Dort ein «Tartuffe»-Remake des Indie-Pop-Musikers und leerschlaglosen Wortakrobaten PeterLicht: eine Molière-Überschreibung ohne ein einziges Wort von Molière. Es ist eine abgefeimte, trashige Diskursparodie um ein Nichts wie aus Zuckerwatte, saublöd und – bis zur Pause – saulustig.

«Basler Dramaturgie»

Gerade wurde das Theater Basel – nicht zuletzt wegen dieser methodisch praktizierten Überschreibung alter Stoffe – in der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift «Theater heute» zum Theater des Jahres gekürt.

Ist das, was der Intendant Andreas Beck in Anlehnung an die kurze Zusammenarbeit von Werner Düggelin und Friedrich Dürrenmatt vor fünfzig Jahren «Basler Dramaturgie» nennt, ein cleverer Marketingschachzug, ein künstlerisches Erfolgsrezept – oder beides? Bildungsbürger und Schulklassen werden jedenfalls durch die Klassikertitel angezogen, keine Frage. Aber sonst ist es wie immer in der Kunst: Sie kann gelingen – oder eher nicht.

Bei Palmetshofer klappts. Der Sprachkünstler hat es in Basel schon mehrfach bewiesen: mit Marlowes «Edward II. Die Liebe bin ich» etwa oder mit «Vor Sonnenaufgang» nach Gerhart Hauptmann, das uns im angestaubten Originalton kaum mehr interessiert hätte. Palmetshofer übernimmt jeweils das Grundgerüst der Stücke und erfindet für sie eine je eigene, dem Gehalt, der Zeit und den Figuren angepasste Sprache. Mal antikisierend, mal vibrierend vor Gegenwärtigkeit, immer rhythmisch, immer klug.

Zwei Männer, eine Frau

So auch bei «König Arthur», der Semi-Oper von Henry Purcell und John Dryden. Dem Schlachtenlärm zwischen Briten und Sachsen nachzuspüren, lohnt sich nicht (da hätte man sich einiges sparen können). Was sich lohnt, ist, der Menschwerdung beizuwohnen, die aus dem Getümmel erwächst.

Zwei Männer kämpfen um die Macht, der Brite Arthur (Elias Eilinghoff) und der Sachse Oswald (Michael Wächter). Und sie kämpfen um eine Frau. Die blinde Emmeline ist das Herz des Abends. So, wie Lisa Stiegler diese Rolle füllt, ist sie auch das Herz der Zuschauer. In ihr spiegeln sich unsere Ängste und Hoffnungen, unser Suchen und Tasten, unser Widerstand gegen Bevormundung und Übergriff. Die Blinde führt uns durch die Schule des Sehens und Fühlens. Es ist wie eine Bewusstwerdung des Menschseins.

Wer bin ich? Wer sind wir? Wer ist das Volk? Was ist Nation? Was ist die Liebe? «Was ist ein Mensch / für sich allein / wenn man sich sieht / erkennt / im Gegenüber nicht.» Da klingt, höchst bühnenwirksam, Martin Buber an: «Der Mensch wird erst am Du zum Ich.»

Grandios die Barockmusik von Purcell, ein toller Chor, gespenstisch die spastisch zuckenden Körper der Tänzer. Aber so richtig zusammenwachsen wollen die verschiedenen Sparten nicht. Regisseur Stephan Kimmig reiht sie mehr additiv aneinander. Unmöglich, nicht an eine andere sparten­übergreifende Basler Purcell-Produktion zu denken, wo vor zwölf Jahren alles aufs Ergreifendste miteinander verschmolz: Sebastian Nüblings «Dido und Aeneas» mit der sagenhaften Sandra Hüller. Ein herzzerreissendes Theaterfest, dem die Einladung ans Berliner Theatertreffen folgte.