Zickenkrieg in vielen Bildern

Simon Bordier, Basler Zeitung (10.04.2018)

Maria Stuarda, 08.04.2018, Zürich

Die Zürcher Inszenierung von Donizettis «Maria Stuarda» ist nicht sehr substanzreich, doch eine Sängerin tröstet über vieles hinweg

Eine Belcanto-Oper mit zwei Sopranistinnen in den Titelrollen wird fast zwangsläufig zum Zickenkrieg. Das Publikum will einen virtuosen Kampf erleben, und genau das bietet Donizetti, wenn er in seiner Oper «Maria Stuarda» die englische Königin Elisabetta I. und ihre schottische Rivalin Maria Stuarda aufeinander loslässt.

Die Sympathien des Komponisten und seines Librettisten Giuseppe Bardari, der Schillers Drama «Maria Stuart» adaptiert hat, sind recht einseitig verteilt: Die protestantische englische Königin «gewinnt» insofern, als sie den Tod der Rivalin erzwingt. Doch Letztere weiss den lieben Gott auf ihrer Seite; wird als katholische Märtyrerin in bester italienischer Art beweihräuchert.

Alles überstrahlende Sopranistin

Am Sonntag, bei der Neuinszenierung im Opernhaus Zürich, bestand erst recht kein Zweifel am Kräfteverhältnis: Die deutsche Sopranistin Diana Damrau überstrahlte als Maria Stuarda den Premierenabend, ja, machte die Vorstellung überhaupt hörens- und sehenswert.

Denn der Regisseur der Zürcher Donizetti-Produktion (der ersten seit Langem) macht es sich etwas gar einfach. Der Amerikaner David Alden sieht seine Hauptaufgabe wohl darin, stimmige Bilder und Symbole zu finden und sonst die Musik für sich sprechen zu lassen. Ein starkes Bild bietet sich einem zu Beginn: Man sieht einen riesigen marmornen Saal, in dem Diana Damrau alias Maria Stuarda und ihre englische Rivalin (Serena Farnocchia) wie hungrige Löwinnen um eine Krone schleichen. Im Fall der Engländerin ist das An- und Ablegen von Kleidern und Perücken bedeutsam: Sie stehen sinnbildlich für politische Selbstinszenierung. Schön anzuschauen sind auch die Schattenspiele an der Wand, wo sich das kommende Unheil mit Dolch und Beil abzeichnet (Bühne und Kostüme: Gideon Davey). Der hehre Saal verwandelt sich im zweiten Akt gar in eine Art Gruselkabinett: Ein Skelett hängt von der Decke, es knallt heftig, und der böse Lord Cecil (stark: der Bariton Andrzej Filonczyk) treibt mit geschwungenem Beil sein Unwesen.

Die Comic-artige Überzeichnung wirkt auflockernd. Die Bilder haben was für sich, aber sie bringen die Handlung kaum voran und gewinnen ihr auch keine tiefschürfende Seite ab. Der Regisseur versucht am Schluss, in der Hinrichtungsszene, mit einem Plakatspruch einen sarkastischen Akzent zu setzen: «Honi soit qui mal y pense.» Ist witzig, zwingend ist es nicht.

Das eigentliche Drama spielt sich in der Musik ab. Serena Farnocchia zeigt ihre Autorität als Elisabetta in scharfen Spitzentönen; insgesamt fehlt es ihrer Stimme aber etwas an Dramatik, Rasanz. Ihre Spezialität sind eher sarkastische Töne, die der naive Graf von Leicester zu spüren bekommt. Der Tenor Pavol Breslik leiht der Figur seine helle, packende Stimme – und gibt damit ein glänzendes Rollendebüt.

Die Rolle des dunkel raunenden Talbot fällt dem Bassbariton Nicolas Testé zu. Wie er der zum Tod verurteilten Maria Stuarda die Beichte abnimmt, ist bewegend. Man kommt nicht umhin zu denken, dass die besondere Intimität zwischen den beiden Sängern mit ihrem richtigen Leben zu tun hat: Nicolas Testé und Diana Damrau sind verheiratet.

Reiner Streicherhimmel

Die rein und fein aufspielenden Streicher geben Anlass zur Hoffnung, dass die Gebete der schottischen Königin im Himmel erhört werden. Die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Enrique Mazzola zeigt viel Fingerspitzengefühl in der Begleitung der Sänger, setzt Klangfarben gezielt ein. Der Chor der Oper Zürich holt die Zuhörer mit bezaubernd schlichtem Trauergesang ab, lässt es bisweilen aber an Kompaktheit missen.

In einer ganz eigenen Liga bewegt sich Damrau als Maria Stuarda. Dank ihrer wendigen Stimme hat sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, setzt ihre Gegnerin mit einem einzigen Ton schachmatt. Es sind aber nicht allein die leidenschaftlichen Ausbrüche, die aufhorchen lassen, sondern mindestens so sehr die schwebenden, entrückten Momente: In «Oh nube che lieve» lässt die Königin ihre sehnsüchtigen Gefühle mit den Wolken ziehen, im Gebet mit Talbot taucht sie ein in einen sanft fliessenden Erinnerungsstrom. Vereinzelt zuckt ihr Herz zusammen, ein alter Schmerz meldet sich zurück, doch sie schreitet sanft und leise weiter. Kein Zweifel: Diese Königin geht angstfrei in den Tod.