Slapstick statt Kapitalismuskritik

Reinmar Wagner, Südostschweiz (07.11.2017)

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, 05.11.2017, Zürich

Sebastian Baumgarten inszenierte am Opernhaus Zürich die kapitalismuskritische Parabel «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» von Brecht-Weill als bunt-schräge Revue. Am Pult stand der Zürcher Chefdirigent Fabio Luisi höchst persönlich.

Essen, Saufen, Ficken, Boxen: Das Quartett männlicher Vergnügungen hatte auch schon attraktivere Verkleidungen. Die Träume vom Leben in Saus und Braus projiziert die Bühnenbildnerin Barbara Ehnes in den Pavillon einer Altersresidenz in Florida mit Swimming-Pool und omnipräsenter TV-Berieselung.

Der Brecht-erfahrene Regisseur Sebastian Baumgarten inszeniert darin mit leichter Hand eine schräge Revue, knallbunt und kitschig, skurril und schrill, mit Gags und Slapstick à discrétion und sehenswert choreographierten Einlagen von Kinsun Chan. Schattenboxen sah selten hübscher aus auf der Theaterbühne, und wenn sich Herr Schmidt zu Tode frisst, dann platzt ihm auch schön blutig der Ranzen

Beeindruckende Bilderwelten

Baumgarten bedient sich zudem ungeniert und mit vollen Händen bei den grossen Bilderwelten des Kinos und der Nachrichtenkanäle. Vor so viel Video gehen manchmal gar die Personen ein wenig unter. Oder sie werden nach Kräften zu Karikaturen gemacht, was natürlich im Stück schon sehr stark angelegt ist. Langweilig wurde es selten in Baumgartens Bilderreigen. Viel mehr als das Stück handwerklich gekonnt abschnurren zu lassen, es als eine knallige, plakative Revue zu illustrieren, hat er allerdings auch nicht zustande gebracht. Seine «Mahagonny»-Version ist ein unterhaltsamer Gangsterfilm, mehr nicht. Kapitalismuskritik? Fehlanzeige.

Lange Pause

Was soll man auch erzählen, in dieser sperrigen, moralinsauren «Mahagonny»-Oper, die Ende der Zwanzigerjahre in der Agonie der Weimarer Republik von Kurt Weill und Bert Brecht geschaffen wurde und an den Erfolg der «Dreigroschenoper» anknüpfen wollte – was nicht ganz gelang: Die Uraufführung in Leipzig war zwar ein prächtiger Theaterskandal, eine ähnlich grosse Popularität aber erreichte «Mahagonny» nie, am Opernhaus Zürich zum Beispiel wurde die Oper seit über 40 Jahren nicht mehr gespielt.

Dabei ist sie musikalisch interessanter, vielschichtiger und komplexer als die «Dreigroschenoper». Songs wechseln mit grosser Operngeste, die Rhythmen der Modetänze jener Zeit mit mannigfaltigen Stilzitaten und Choralpersiflagen. Kurt Weill allerdings war nicht der beste Instrumentierungskünstler, das konnte auch Opernhaus-Chefdirigent Fabio Luisi nicht kaschieren. Grösstes Manko der Produktion jedoch ist, dass der eine Teil der symbiotischen Brecht-Weill-Zusammenarbeit, der Text nämlich, zu grossen Teilen auf der Strecke bleibt. Die Sänger artikulieren zu wenig deutlich, die Musik aus dem Graben ist oft viel zu laut und massiv, um daneben viel zu verstehen, geschweige denn, mit den Nuancen der Sprache zu spielen, was hier doch so wichtig wäre.

Gewisse Teile eines Songs dem Saxophon zu überlassen, wie es Annette Dasch als Jenny machte, war zwar ein netter Einfall, aber natürlich nicht die Lösung. Und gerade bei Dasch war es auch ein wenig ein Kaschieren der stimmlichen Möglichkeiten: Vor allem in der ersten Hälfte klang ihr Sopran merkwürdig unterbelichtet und unerwartet schmal.

Anspruchsvolle Aufgabe

Anders als die «Dreigroschenoper» verlangt «Mahagonny» richtige Opernsänger mit profunder Stimme und der Fähigkeit, Brechts Texte dennoch auch sprechend über die Rampe zu bringen. Diese Affinität fehlte in dieser Produktion weitgehend, am schmerzlichsten vermisste man sie bei Karita Mattila, die als Witwe Begbick auf den Ruinen ihrer einstmals grossen Stimme nur noch chargieren konnte.

Trotz einiger Mühen mit dem Wechsel zwischen Singen und Sprechen sowie mit der Sprache selber, kam der Tenor Christopher Ventris als Paul noch am besten mit den Anforderungen an seine Partie zurecht. Sein Tenor immerhin bewies Kern und Standfestigkeit und schaffte es immer wieder, seine Melodien über die Orchesterwogen zu tragen.