"Der Freischütz" in Zürich – eine Oper wider den tierischen Ernst

Torbjörn Bergflödt, Südkurier (20.09.2016)

Der Freischütz, 18.09.2016, Zürich

Mit seinem „Freischütz“ hat Herbert Fritsch das Premierenpublikum des Opernhauses Zürich gespalten. Die einen bejubeln seine Inszenierung, die anderen buhen sie gnadenlos aus.

Ein Mann muss vor der Hochzeit eine Büchse zur Hand nehmen und einen Probeschuss tun. Und nur, wenn er das Ziel trifft, das ihm vom Landesfürsten angewiesen wird, darf er die Frau ehelichen. Dem Jäger Max in der Oper „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber ergeht es so. Wobei eigentlich der Teufel die Hand im Spiel hat. Die angeblich treffsichere Freikugel, die Max am Hochzeitstag abschießt, würde denn auch die zu einer Taube verzauberte Braut getötet haben, wenn nicht der Gegenzauber eines guten Eremiten die Kugel abgewehrt und umgelenkt hätte.

Überzeugt das Happy End? Was ist mit den Versagensängsten, die Max gequält haben? Was mit der Häme, die ihm entgegengebracht wurde? Alles weg? Überhaupt wird in jener Sage, die die Vorlage zum Libretto bildet, durchaus kein Lob eines verzeihenden Herrschers gesungen wie in der im Jahr 1821 uraufgeführten Oper. Herbert Fritsch nun biegt in seiner dritten Inszenierung am Opernhaus Zürich das Happy End gerade noch um. Florian Anderer, der den Abend hindurch als feixend-faxender Beelzebub Samiel im roten Fantasy-Kostüm virtuos herumgealbert ist, kriecht unter den Rock von Lise Davidsens Agathe und veranstaltet da einen zünftigen Dampf. Während sich alle anderen mit Zeichen der Verängstigung nach hinten bewegen, lässt die Frau ein luziferisches Gelächter vernehmen. Vorhang zu und einige Fragen offen.

Der finale Gag mit Hintersinn beschließt einen Abend, dem Fritsch seinen Stempel aufdrückt. Wo Fritsch draufsteht, ist Fritsch drin. Das heißt auch bei diesem Zürcher „Freischütz“: Theater spielen wider eine tierisch ernste Konvention. Gezeigt wird ein Spiel, das Körperlichkeit betont, Expressivität ausstellt und übertreibt, mit Fratzenschneiden und Slapstick-Einlagen lustvoll für Künstlichkeit auf der Bühne plädiert und damit gegen naive Realismus-Behauptungen zu Felde zieht. Für Fritsch sind Oper und Schauspiel dasselbe. Schauspieler lässt er singend sprechen, auf der Opernbühne vorgetragene Dialoge lässt er von Sängern mit leidenschaftlicher Energie aufsagen.

Während die norwegische Sopranistin Davidsen sängerisch die Agathe in der Lautstärkegebung schon ein bisschen auf eine Wagner-Heldin hin öffnet, aber auch einiges von jener Innigkeit beisteuert, wie man sie mit dieser Rolle verbindet, bürstet Fritsch sie gegen den Strich unserer biedermeierfraulichen Erwartung: Agathe wird als resolute Frau gezeichnet, die mit ihrem Temperament die Angst des Bräutigams vor dem Fehlschuss fördert. Christopher Ventris als Max lässt einen kraftvollen Tenor hören und bringt gleichzeitig die Unsicherheit der Titelgestalt über die Rampe. Mélissa Petit beschwert die Partie des Ännchen vokal mit keinem Gewichtlein und formt aus dem heiteren Wesen den wie aus einem Comic-Heftchen herausgelösten Typ „einfaches Mädchen mit Herzblut“. Christof Fischesser in der Rolle des die Intrige spinnenden bösen Jägers Kaspar trotzte am Premierenabend mit sonorer Bassgewalt einer da noch nicht vollständig auskurierten Bronchitis.

Fritsch als sein eigener Bühnenbilder nutzt, einfallsreich und ökonomisch zugleich, Bausteine einer stilisierten Dorfkirche, die an eine bunte kubistische Plastik erinnert. Teile lassen sich in die Luft heben und per Drehbühne umkehren. Vieles überlässt Fritsch der Vorstellungskraft des Publikums – auch in der Wolfsschlucht-Szene, wo die Freikugeln gegossen werden. Es gibt raffinierte Effekte wie den, dass der Teufel die Kirche für eine ausgedehnte Kletter- und Rutschpartie nutzt. Dann sind da natürlich die Fritsch-typischen Possenreißereien, der beherzte Griff in den Schritt inklusive. Und freilich, manchmal kratzt man sich am Kritikerkopf und denkt: Ist das nicht zu viel? Tut das dem „Freischütz“ wirklich gut? Fraglos: Das Ganze ist ein Kantengang, ja, ein Ritt auf des Geschmacksmessers Schneide. Entschuldigt sei, wer diesen „Freischütz“ doof finden sollte – wie offenbar viele im Premieren-Publikum. Wir indes tun‘s nicht, sondern finden: Trotz ein paar Verlustpunkten gebiert Fritschs Mut zum Risiko einige Frische, setzt Energien frei, gewährt Kurzweil.

Wozu freilich die Bühnenbildnerin Victoria Behr beigetragen hat. Auch sie geht aufs Ganze: Sie hat die von Jürg Hämmerli gut einstudierten Choristen in opulente Kostüme gesteckt, hat die Jägertrachten bis zur Groteske geschärft, Max eine Haartolle und Ännchen eine Stromschlagfrisur verpasst und lässt die Hörner des langschwänzigen Teufels wippen wie Insektenfühler.

Zu guter Letzt: Marc Albrecht erweist sich als idealer Sachwalter der Partitur. Der Dirigent lässt die Philharmonia Zürich nicht verschwommen weben und wabern, sondern rhythmisch sauber aufspielen, konturenklare Klänge formen, deutlich artikulieren. Albrecht lüftet die Noten durch und zieht bei der Wolfsschlucht-Szene die Daumenschrauben an mit einem Crescendo, dessen Wirkung auch von den erstaunlichen Farbwirkungen etwa der Klarinetten, Hörner und Posaunen geschärft wird. Dass Fritsch während der Ouvertüre bunte Ringe auf den Vorhang projizieren lässt, stimmt passend ein auf die farbig zubereitete Schauer-Romantik.